Trotz Fitnessstudio und Protein: Warum Männer psychisch leiden

Trotz Fitnessstudio und Protein: Warum Männer psychisch leiden

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Trotz Fitnessstudio und Protein: Warum Männer psychisch leiden

Viele junge Männer leben gesünder und sind fitter als ihre Vorgänger. Sie tracken Kalorien, trinken Protein-Shakes statt Bier und gehen regelmäßig ins Gym. Energy Balls gehören zum Alltag genauso wie Energydrinks und Proteinshakes– genauso wie der Gang ins Fitnessstudio. Und doch sind sie laut Studien die einzige Bevölkerungsgruppe, deren Gesundheitszustand sich real verschlechtert. Warum? Die Antwort liegt tiefer als das sichtbare Sixpack.

Glänzende Fassade, bröckelnder Kern

Wenn man einen Fuß in ein modernes Fitnessstudio setzt, könnte man glauben, man betrete ein Heiligtum der Gesundheit: LED-Lichter, proteinreiche Shakes im Kühlschrank, motivierende Beats, und auf dem Bildschirm irgendein muskelbepackter Influencer, der gerade erklärt, warum man nur mit seinem neuesten 8-Wochen-Programm ein echter Mann wird. Zwischen Military Press und Selfie-Spiegel herrscht eine fast religiöse Ehrfurcht vor Disziplin, Fortschritt – und Oberflächenästhetik.

Doch schaut man genauer hin, sieht man: Die Fassade glänzt, aber dahinter bröckelt’s gewaltig. Denn ausgerechnet die jungen Männer, die hier ihren Lifestyle pflegen, sind laut Statistik die einzige Bevölkerungsgruppe, deren Gesundheitszustand sich objektiv verschlechtert. Und das, obwohl (oder gerade weil?) sie mehr Supplements schlucken als ein Apothekenpraktikant.

Fitnesstraining ersetzt keine Therapie

Klar, körperlich scheinen viele von ihnen fitter denn je. Sie essen proteinoptimiert, trinken Kreatin auf nüchternen Magen und verachten Gluten wie die Pest. Statt einer Zigarette nach dem Essen gibt’s jetzt L-Glutamin, und wer keinen Kalorien-Tracker nutzt, wird misstrauisch beäugt wie ein Keto-Anhänger (also Menschen, die sich nach der ketogenen Diät ernähren, sehr fettreich, fast keine Kohlenhydrate) beim Grillfest mit Kartoffelsalat und Bier
Aber psychisch? Da sieht’s eher nach Leg Day aus, der nie stattgefunden hat. Burnout mit 23, Angststörungen trotz Meditations-App und Beziehungskompetenz auf dem Level eines Toastbrots – das ist leider bei vielen die Realität hinter dem Pump.

Was Fitnessstudios versprechen – und was sie liefern

Und die Fitnessstudios? Spielen dabei eine tragende - oder sagen wir eine intellektuell tragische  - Rolle – allerdings eher in der Kategorie Realsatire. Denn Betreuung findet dort, wenn überhaupt, in Form eines müden Einweisungsgesprächs statt, das in etwa so individuell ist wie ein Fast-Fashion-T-Shirt aus Bangladesch.

Personal Training? Kostet extra. Ernährungstipps? Kommen vom Bizepsmonster mit 140 Kilo Wettkampfgewicht, das einem im Brustton der Überzeugung rät, "abends einfach nur Thunfisch mit Magerquark zu essen, Bro". Psychische Belastung? Wird ignoriert. Gefühle? Sind was für Yogamatten und Frauenmagazine.

VersprechenRealität
Individuelle TrainingspläneStandardplan für alle
Ganzheitliche BetreuungKein Ansprechpartner bei Stress
Professionelle ErnährungstippsHalbgare Pauschalratschläge
Motivierende CommunitySoziale Isolation zwischen Geräten


Der Druck der falschen Vorbilder

Das tragische dabei: Die jungen Männer glauben den falschen Vorbildern. Influencer, die ihre Karrieren mit Anabolika starten und mit Detox-Tee beenden, (mein Gott könnte ich kotzen, wenn ich mal wieder ein Werbevideo sehe: "Das ist ein Stoffwechselkiller") ... geben ihnen vermeintliche Orientierung.

Authentizität wird simuliert, während im Hintergrund die Psyche zerbricht – so lange jedenfalls, bis es niemand mehr bemerkt, weil das Sixpack ja noch sitzt. Die „Vorher-Nachher“-Bilder auf Instagram sagen alles. Außer, wie es innen aussieht.

Zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung

Doch warum trifft es diese Gruppe so hart? Weil sie ständig zwischen den Rollen hin- und hergerissen werden: Der moderne Mann soll sensibel sein, aber bitte keine Schwäche zeigen. Er soll gut aussehen, aber nicht zu sehr darauf achten. Stark sein, aber kein Macho. Erfolgreich, aber nahbar. Irgendwann kollidieren diese Anforderungen – und der Kopf implodiert leise hinter dem nächsten Latzuggerät.

Mehr Spiegelung, weniger Spiegel

Natürlich gibt es auch echte Fortschritte. Viele Jungs rauchen weniger, trinken bewusster, bewegen sich mehr als die Couchkartoffeln der Nullerjahre. Aber der Preis ist hoch: permanente Selbstoptimierung, soziale Vergleiche rund um die Uhr, und der ständige Druck, zu funktionieren – körperlich, sexuell, beruflich, sozial. Kein Wunder, dass der Nervenzusammenbruch mittlerweile zur modernen Initiation geworden ist. Früher war’s der erste Vollrausch, heute ist’s der erste Breakdown mit 26 nach dem dritten Karrierewechsel und 17. Tinder-Date.

Fitness muss mehr können als Muskeln

Was wir brauchen? Weniger Spiegel und mehr Spiegelung. Mehr echte Begleitung im Gym, weniger „Du schaffst das, Bruder“-Plattitüden vom Studioleiter, der selbst seit drei Jahren keinen Trainingsplan mehr gelesen hat. Und vor allem brauchen wir: eine Fitnesskultur, die Körper und Geist zusammenbringt – statt sie gegeneinander auszuspielen. Denn Muskelmasse hilft nicht gegen Einsamkeit. Ein niedriger Körperfettanteil lindert keine Panikattacken. Und wer den ganzen Tag Kalorien zählt, kann trotzdem nachts nicht schlafen – weil ihn Gedanken zählen, gegen die kein Whey-Protein der Welt hilft.

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