Prioritäten müssen sein! - Strategie zur Vermeidung von Misserfolg durch Leistungsstress

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Fitness Expert

Im Studien- oder Arbeitsalltag werden wir sehr oft mit dem Leistungsprinzip konfrontiert. Wer zu wenig Leistung bringt, fällt hinten runter, verdient weniger Geld, macht keine Karriere oder sinkt in der Anerkennung der Kollegen. Das ökonomische Prinzip der Gewinnmaximierung durch Senkung der Kosten bei gleichzeitiger Erhöhung der Einnahmen führt zwangsläufig dazu, dass Personaleinsparungen und Mehrarbeit in den Firmen Einzug halten - auf gesundheitliche oder zeitliche Kosten des Arbeitnehmers.



Dies alles hat wenig mit Sport und Fitness zu tun,



kann man jetzt vielleicht denken. Aber weit gefehlt. Arbeit und Geldverdienst sind bedeutende Bereiche unseres Lebens, die unseren Geist und unser Verhalten auch in der Freizeit maßgeblich beeinflussen. Prozessoptimierung und Leistungssteigerung allerorten - so auch im persönlichen Fitness-Programm.



Ich möchte an dieser Stelle nicht darüber reden, sich in seiner Paradedisziplin immer weiter zu verbessern - sei es der mittelmäßige Läufer, der in Hightech-Faser-Bekleidung GPS-gestützt am 10-km-Volkslauf seiner Heimat-Kleinstadt teilnimmt, oder der Hobby-Bodybuilder mit hauseigener Apotheke im Wert eines italienischen Sportwagens - diese Menschen haben einfach genug Geld und Zeit, um sich derartiges leisten zu können und schaden sich seelisch dadurch nicht.



Im Stellungskrieg: Ernährung, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Koordination



Vielmehr rede ich davon, sich im Sinne der modernen Fitness-Bewegung an viel zu vielen Fronten im Stellungskrieg zu befinden: Ernährung, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Koordination, etc sind alles lohnende Ziele - doch mal ehrlich: Es ist bei einer derartigen Vielzahl vorprogrammiert, nicht erfolgreich zu sein. Sportler, wie Klitschko oder Hambüchen leben eine derart vielfältige Ausprägung aller Fitness-Komponenten zwar vor - doch sind diese Menschen genetisch begnadet und können im Idealfall ihr komplettes Leben danach ausrichten.



Körperliche Fitness: Nicht verzetteln - fokussieren!



Im Grunde geht es mir um Folgendes: Man kann sich sehr wohl in allen Belangen der körperlichen Fitness verbessern (gerade zu Anfang) - der zeitliche und geistige Aufwand, sowie Regeneration und schlicht die erblichen Voraussetzungen machen diesem Unterfangen jedoch wesentlich schneller ein Ende, als wenn man sich auf ein oder zwei Hauptziele beschränken würde.



Fitnesstraining ja, aber weder Grundwissen noch Geduld



In meiner Funktion als Moderator im Forum von fitness.com erlebe ich sehr oft vor allem junge, aber auch ältere Neueinsteiger, deren Fragen davon zeugen, dass sie zum einen sehr hohe Ziele, zum anderen aber weder Grundwissen, noch Geduld haben. Ganz typisch sind hier z.B. Frauen, die nach der ersten oder zweiten Schwangerschaft nicht unerheblich an Körpergewicht zugenommen haben und nun in 1 oder 2 Monaten wieder die Figur erreichen wollen, als sie noch kinderlos waren. Gleichzeitig soll aber auch noch nachgeholt werden, sich besser zu ernähren oder es existiert eine ganz bestimmte, festgelegte Vorstellung vom gewünschten Körperbild.



Gute Fitness braucht Zeit und Muße



Aber wie soll das alles gutgehen,  wenn man sich gleichzeitig um 2 Kinder zu kümmern hat? Wenn man überhaupt eine Rückmeldung auf gegebene Ratschläge bekommt, so beinhaltet diese meist Frustration. In den allermeisten Fällen meldet sich eine Fragenstellerin überhaupt nicht mehr. Sicher nicht das beste Indiz dafür, dass alles reibungslos geklappt hat und man sich für das Rezept zum Erfolg bedankt. Es kann mit dieser Denkweise einfach nicht funktionieren.



Wie funktioniert Fitnesssport dann?



Wenn man mit Fitnesssport beginnt, so ist dies für den Körper Schock genug. Die viele, anstrengende Bewegung verbrennt zunächst einiges an Extrakalorien, natürlich steigt auch der Hunger. Der Körper will sein Gewicht ja behalten! Anstatt sich aber erstmal an Sport und Belastung zu gewöhnen, werden gleichzeitig noch Ernährung und Freizeit umgestellt - alles auf einmal. Und wer viel investiert, will schnell viel zurückhaben. Ungeduld fördert immer Resignation, weil es dem modernen, leistungsorientierten Menschen einfach nicht schnell genug gehen kann.

Der richtige Weg wäre demnach: Sich erstmal im Sport eingewöhnen, danach dann höhere Belastung hinzufügen. Erst, wenn man sich an belastenden Sport gewöhnt hat, etwas an der Ernährungsschraube drehen (falls noch nötig). Und danach dann Ziele festlegen, denn erst dann wird man sie realistisch einschätzen können.



Warum ist diese Vorgehensweise im Fitnesssport so wichtig?



Das Problem ist, dass man, wenn man alles gleichzeitig ändert, bei Misserfolg auch allen Faktoren gleichzeitig die Schuld gibt. In viel zu wenig Zeit wird ein Knäuel an Maßnahmen umgesetzt, dass als Gesamtpaket noch gar nicht harmonieren kann. Es mangelt an Erfahrung, Experimentieren und Kontrolle. Man hat nicht die Möglichkeit, herauszufinden, an welchen Schrauben man im Hinblick auf die Individualität seines Körpers drehen muss, um sich Richtung Erfolg zu bewegen. Wie bei allen erfolgreichen Menschen ist der Weg zum Erfolg von vielen Niederlagen und ständigem Üben gekennzeichnet. Das geht einfach nicht, wenn man gleichzeitig drei oder mehr Ziele hat.



Fitnesssport: Geduld mit dem Erfolg, Geduld mit sich selbst und Geduld gegenüber anderen.



Wir sind also wieder am Dreh- und Angelpunkt meiner Philosophie vom sportlichen Erfolg angelangt: Geduld, moderate Ziele und Beständigkeit. Das wichtigste ist die Geduld: Geduld mit dem Erfolg, Geduld mit sich selbst und Geduld gegenüber anderen. Erst durch Geduld wird man die eigenen Prioritäten überhaupt erst erkennen und fixieren können.



Um nicht nur beim Beispiel der nach-schwangeren Frauen zu bleiben, möchte ich noch die große Gruppe von Männern mit ihrer Ansicht nach zu wenig Muskeln ins Feld führen. Fragestellungen im Forum lauten dann meist: "Hi, ich bin Peter, Anfang 20 (oder 30, oder 40), fühle mich zu dünn, hab jetzt viel über Kraftsport gelesen, hab mir auch eine 2-kg-Hantel für den Keller gekauft, mit der ich trainiere. Ich achte sehr auf meine Ernährung und will vor allem gesund bleiben. Nur eben noch mehr Muskeln, weil Frauen das so mögen - bin sonst eher schüchtern. Das mach ich jetzt seit 3 Monaten, sehe aber immer noch nicht aus, wie die Typen von den Fitness-Magazinen - was mache ich falsch?"



Kein Doping - Nicht ungeduldig sein und nicht alles auf einmal



Neben dem Handwerklichen macht Peter vor allem eines falsch: Er ist ungeduldig und hat viel zu viele Ziele auf einmal. Gleichzeitig will er Muskeln aufbauen, dabei fettfrei bleiben, Frauen gefallen, gesund bleiben und das alles in unter 3 Monaten. Wahrscheinlich wird er entweder noch 3 Monate im Keller rumprobieren und es dann frustriert sein lassen, oder schlimmer: zur chemischen Keule greifen und 2 Jahre geliehener Muskulatur gegen Akne-Narben und Haarausfall eintauschen. Solchen Leuten würde ich am liebsten sagen: Mach langsam. Eins nach dem anderen: Werd erstmal stärker in den Kraft-Übungen.



Dabei wirst du auch erstmal ziemlich an Körpergewicht zunehmen, aber das geht schlecht anders. Danach kannst du mal eine Krafterhaltungsphase einlegen, in der du Fett abnimmst. In dieser Zeit stellst du langsam die Ernährung um und in der Folge wirst du auch nicht mehr so sehr zunehmen. Und was Frauen betrifft, rate ich dir eh von den Exemplaren ab, die nur dein Äußeres an dir lieben.



Wie gesagt, ich würde es gerne sagen - aber es will so gut wie keiner hören. Um das alles so umsetzen zu können, braucht man nämlich locker mal 2-5 Jahre. Und nicht 3 Monate. Und da hört man lieber auf verlockende Werbeanzeigen oder Typen, die einem einreden, man könne das alles viel eher erreichen und Genetik wäre ja nur eine Erfindung von Wissenschaftlern, um sich klug vorzukommen.



Umdenken möglich im Fitnesssport?



Ich schreibe diesen Artikel also im vollen Bewusstsein, dass ich wahrscheinlich nur sehr wenige Leser tatsächlich zum Umdenken anregen kann. Schließlich war ich früher selbst sehr ungeduldig und musste erst durch Erfahrung lernen, wie wichtig Geduld, Selbstvertrauen und ein gesunder Abstand zur reinen Optik des Körpers ist.



In diesem Sinne freue ich mich über jeden Trainierenden, dem meine Worte zu weniger Leistungsstress und mehr Erfolg im Sport verhelfen können.



Patrick Raabe



 



 

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