Kältekammer bei –110 °C: Regeneration oder teure Schocktherapie?

Kältekammer bei –110 °C: Regeneration oder teure Schocktherapie?

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Kältekammer bei –110 °C: Regeneration oder teure Schocktherapie?

In der ZEIT.de habe ich gelesen …

… dass ein Autor bei –110 °C in einer Kältekammer stand und plötzlich an Wunderheilung glaubte. Der Artikel sprach von Entzündungshemmung, Immunstärkung, mentaler Klarheit – und natürlich von Spitzensportlern, die „darauf schwören“. Klingt nach medizinischem Durchbruch? Oder nach der Wellness-Version einer Mutprobe? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Und wir schauen sie uns jetzt genauer an.

Was passiert bei –110 Grad wirklich?

In einer Ganzkörper-Kältekammer wird der Körper für 2–3 Minuten extrem kalter, trockener Luft ausgesetzt – Temperaturen zwischen –85 °C und –110 °C. Die Hauttemperatur sinkt rapide, die Blutgefäße ziehen sich zusammen, der Körper schüttet Noradrenalin, Adrenalin und Endorphine aus. Kurz: Du frierst, dein Körper glaubt, du stirbst – und aktiviert alles, was er hat. Das soll Entzündungen bremsen, Schmerzen lindern und die Regeneration fördern. Klingt plausibel – aber wie sieht die Evidenz aus?

Die Studienlage: Mehr Hype als Heilung?

Die wissenschaftliche Datenlage ist durchwachsen. Einige Studien zeigen, dass die Kältetherapie helfen kann, **Muskelschäden nach intensivem Training** zu reduzieren. Besonders bei DOMS (Delayed Onset Muscle Soreness) konnten **geringere Schmerzwerte und schnellere Leistungswiederherstellung** beobachtet werden. Andere Studien zeigen **keinen signifikanten Unterschied** zu Placebo-Anwendungen. Und bei systemischen Effekten wie Immunstärkung oder Depressionstherapie? Erste Hinweise – aber alles andere als bewiesen.

AspektKältekammer (–110 °C)Eisbaden (5–10 °C)Kontrastdusche
Dauer2–3 Minuten5–12 Minuten5–10 Minuten
Wirkung auf MuskelkaterGut belegtGut belegtBegrenzt
Hormonelle Effekte↑ Noradrenalin, Adrenalin↑ ähnlich, aber schwächerKaum messbar
RisikoHoch (z. B. Kreislauf)MittelNiedrig
Kosten30–60 € pro Sitzung0–10 €Gratis

Wer profitiert wirklich?

Spitzensportler, die mehrmals täglich trainieren, können durch schnellere Regeneration tatsächlich Vorteile haben. Auch bei **chronischen Schmerzen, rheumatischen Erkrankungen oder Schlafstörungen** gibt es positive Erfahrungsberichte – teils auch medizinisch dokumentiert. Aber für den durchschnittlichen Fitness-Enthusiasten mit drei Trainingseinheiten pro Woche? Fraglich. Ohne saubere Ernährung, ausreichenden Schlaf und clevere Trainingsplanung bringt selbst die schickste Kältekammer nichts – außer kalte Füße und einen leeren Geldbeutel.

Der Biohacking-Boom: Selbstoptimierung oder Selbstdarstellung?

Kältekammern sind zum Lifestyle-Symbol geworden – ähnlich wie rote Lichttherapie oder NAD+-Infusionen. Wer etwas auf sich hält (und Instagram hat), geht nach dem Training „noch eben ins Eis“. Die Wirkung? Sekundär. Hauptsache, die Story knallt. Das wäre harmlos, wenn es nicht suggerieren würde: Wer keine 40 € pro Session zahlt, trainiert nicht richtig. Dabei ist es genau umgekehrt: Wer seinen Schlaf, seine Ernährung, sein Stressmanagement im Griff hat, braucht oft keine zusätzliche Kälte – sondern Struktur.

Standorte in der Nähe (Beispiel: Karlsruhe)

Wer neugierig ist, findet auch in der Region Angebote. In Karlsruhe gibt es z. B. **Cryopoint** (Sophienstraße 68) und **CoolMe** mit Kammern bis –110 °C. In Mannheim bietet eine orthopädische Praxis systemische Kryotherapie an, in Baden-Baden wird sie als Teil der Schmerztherapie genutzt. Viele Studios werben mit Regeneration, Immunstärkung und „Wachheit durch Kälte“. Aber: Die Preise liegen oft bei 30–60 € pro Sitzung – ohne Garantie auf Effekt. Und nicht jede Kammer arbeitet tatsächlich mit –110 °C.

Risiken und Kontraindikationen

Kältekammern sind kein Spaß für alle. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, unkontrolliertem Bluthochdruck, Atemproblemen oder starker Kälteempfindlichkeit sollten besser verzichten. Auch für Menschen mit Durchblutungsstörungen, offenen Wunden oder Metallimplantaten kann die Anwendung problematisch sein. Vorher ein Arztgespräch? Pflicht. Aber leider nicht überall Standard.

Was Sportler stattdessen tun können

Für 90 % der Trainierenden gilt: **Guter Schlaf, cleveres Training, weniger Alkohol, mehr Glycin, gezielte Entzündungsmodulation durch Ernährung** (z. B. Omega-3, Curcumin) bringen mehr als ein eiskalter Instagram-Moment. Wer Regeneration will, muss nicht unbedingt frieren – sondern verstehen, wie der Körper funktioniert. Wer’s trotzdem testen will: eine Sitzung reicht für den Anfang. Und dann ehrlich bewerten, ob der Effekt real war – oder eher fancy Erwartung.

Die Wahrheit liegt bei dir

Kälte kann helfen – aber sie heilt nicht alles. Die Wirkung ist individuell, die Studienlage vorsichtig optimistisch, der Markt überhitzt. Wer viel trainiert, chronisch müde ist oder Entzündungen lindern will, kann es versuchen – mit gesundem Menschenverstand. Aber wie so oft gilt: Nur weil etwas extrem ist, ist es nicht automatisch wirksam. Manchmal ist der altmodische Spaziergang an der frischen Luft wirkungsvoller als jede Kältekammer. Nur eben ohne Rabattcode.

Quellen: (1) Lombardi G et al. Whole-body cryotherapy in athletes: from therapy to stimulation. A review of the literature. Front Physiol. 2017;8:258. (2) Costello JT et al. Whole-body cryotherapy (extreme cold air exposure): a trend in sport recovery? Br J Sports Med. 2015;49(9):591–596. (3) Bleakley CM, Davison GW. What is the biochemical and physiological rationale for using cold-water immersion in sports recovery? A systematic review. Br J Sports Med. 2010;44(3):179–187. (4) Westerlund T et al. Thermal responses during and after whole-body cryotherapy. J Therm Biol. 2009;34(4):206–210. (5) Selfe J et al. The effect of three different (−135 °C) whole body cryotherapy exposure durations on elite rugby league players. PLoS ONE. 2014;9(1):e86420.

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