„Ihre Werte sind alle in Ordnung.“ Dieser Satz meines Hausarztes sollte mich beruhigen. Tat er aber nicht. Neugierig wie ich bin, schaute ich mir das Laborprotokoll zu Hause noch einmal in Ruhe an – und stolperte über zwei Zahlen, die mir den Puls schneller schlagen ließen: Triglyzeride deutlich erhöht, HbA1c bei 6,0 %. Für viele mag das nur Statistik sein. Für mich war es ein kleiner Schock, denn ich hatte mir immer eingeredet, alles richtig zu machen.
Ich dachte, ich hätte vorgesorgt
Seit Jahren laufe ich täglich. Nicht nur ein bisschen: über zehn Kilometer, oft mehr als eine Stunde, jeden Tag. Zucker? Kaum. Stattdessen Gemüse, Vollkorn, jede Menge Nüsse und drei Gramm Omega-3 pro Tag. Meine Proteine platziere ich bewusst am Anfang jeder Mahlzeit – der Blutzucker soll gar nicht erst große Sprünge machen. Ich war mir sicher, dass diese Routine genügt, um meine Werte im grünen Bereich zu halten.
Zwei Gläser Wein zu viel
Was ich unterschätzt habe, war zwei-, manchmal dreimal pro Woche ein Glas Wein – für mich Ausdruck von Genuss und Geselligkeit. Im Laborblatt war der Wein plötzlich als stiller Saboteur enttarnt. Die Leber baut Alkohol nämlich bevorzugt ab. Während sie das tut, stellt sie die normale Zucker- und Fettverarbeitung zurück. Überschüssige Energie wandert direkt in Triglyzeride (VLDL). Und die bleiben im Blut, egal wie brav man sonst isst.
Ausdauer ist nicht alles
Mein zweiter blinder Fleck: Krafttraining. Ich habe es bisher nur sporadisch gemacht, weil ich dachte, tägliches Walken sei ausreichend. Jetzt weiß ich, dass gerade die arbeitende Muskulatur entscheidend für die Insulinsensitivität ist. Ohne regelmäßigen Widerstand fehlen die großen Glukose-Speicher – der Blutzucker bleibt höher, auch wenn man viel Ausdauertraining macht.
Erst als ich meine Laborwerte genauer studierte und mit meinem Arzt sprach, begriff ich, wie groß der Unterschied zwischen Herz-Kreislauf-Training /Cardio Training und gezieltem Muskeltraining wirklich ist. Arbeitende Muskulatur ist der wichtigste Speicher für Glukose, und zwar nicht nur während der Bewegung, sondern auch in den Stunden danach. Wenn ich mich ausschließlich auf langes Gehen verlasse, bleibt ein entscheidender Mechanismus ungenutzt: die Fähigkeit der Muskeln, nach einer intensiven Belastung wie ein Schwamm Zucker aus dem Blut aufzunehmen und einzulagern.
Aspekt | Ausdauertraining (z. B. Walken, Laufen) | Krafttraining (z. B. Seilzug, Gewichte, Eigengewicht) |
---|---|---|
Blutzucker-Kontrolle | Verbessert kurzfristig die Insulinsensitivität während und direkt nach der Einheit | Schafft zusätzliche Glukose-Speicher in Muskeln → stabilisiert den Zuckerstoffwechsel langfristig |
Triglyzeride & Fette | Hilft, Fett im Blut zu verbrennen, aber Effekt endet nach der Belastung | Senkt Triglyzeride auch in Ruhephasen, da Muskeln mehr Energie verbrauchen |
Muskelmasse | Hält Ausdauer- und Herzfunktion fit, aber kaum Muskelwachstum | Erhöht Muskelmasse → mehr Grundumsatz, besserer Stoffwechsel |
Langfristiger Effekt | Gut fürs Herz-Kreislauf-System, begrenzte Wirkung auf Zuckerwerte | Schützt vor Diabetes & Stoffwechselkrankheiten auch im Alter |
Motivation | Einfacher Einstieg, wenig Überwindung nötig | Höhere Hürde, aber nachhaltigere Effekte |
Beim Walking reize ich diesen Effekt kaum aus. Die Bewegung ist gleichmäßig, die Muskeln werden nicht bis an ihre Leistungsgrenze gebracht. Erst Widerstand – also echtes Krafttraining – sorgt dafür, dass die Fasern wachsen und neue Glykogenspeicher anlegen. Ohne diese Speicher kann der Blutzucker nach einer Mahlzeit länger im Blut zirkulieren, selbst wenn man ansonsten sportlich ist. Genau deshalb zeigte mein HbA1c trotz aller Kilometer, die ich Woche für Woche abspule, einen Wert, der mir zu denken gab.
Heute verstehe ich: Ohne gezieltes Krafttraining bleiben Blutzucker und Triglyzeride problematisch – egal wie gesund man isst oder wie viel man läuft. Regelmäßiges Krafttraining ist nicht nur ein Zusatz, es ist ein eigener, unverzichtbarer Baustein für stabile Zuckerwerte. Das heißt nicht, dass ich stundenlang Gewichte stemmen muss.
Aber große Muskelgruppen – Beine, Rücken, Brust – brauchen mehr als Spaziergänge. Ob Seilzüge, Eigengewichtsübungen oder gezieltes Training an Geräten: Ohne diesen Widerstand bleibt der Stoffwechsel unvollständig trainiert. Mein tägliches Walken bleibt wichtig, doch erst die Kombination aus Ausdauer und Kraft bildet das Fundament für echte Insulinsensitivität.
Konsequenzen, die wehtun
Also ziehe ich die Reißleine. Alkoholverzicht, abgesehen von seltenen familiären Feiern, fällt mir nicht leicht, ist aber der logische Schritt. Ich baue zudem kurze, intensive Krafteinheiten fest in meinen Wochenplan ein. Kein Studio-Marathon, aber gezielte Übungen an Seilzügen, Liegestütze, Kniebeugen – alles, was große Muskelgruppen fordert.
Supplements bleiben, Medikamente vorerst nicht
Meine Omega-3-Kapseln behalte ich bei, ebenso den täglichen Nussmix. Protein bleibt weiterhin der erste Baustein jeder Mahlzeit. Magnesium und Vitamin D gehören inzwischen fest dazu, weil sie für Blutzucker, Blutdruck und Muskeln wichtig sind. Mit Berberin habe ich experimentiert, allerdings nie konsequent – vielleicht wäre hier mehr Disziplin notwendig, um den Effekt klar zu sehen. Ob ich damit auf Medikamente wie Statine oder Metformin verzichten kann, wird die Zeit zeigen.
Leicht ist dieser Weg nicht – es ist ein echter Aufwand, ohne medikamentöse Hilfe gegenzusteuern. Aber es fühlt sich richtig an, Verantwortung zu übernehmen, statt die Verantwortung einfach einer Tablette zu überlassen – genau das, was viele Patienten tun: Sie verlassen sich auf ein Rezept, hoffen damit genug getan zu haben und winken ärztliche Empfehlungen – falls sie überhaupt ausgesprochen werden – viel zu oft achtlos ab.
Und hier ist der Folgeartikel, mit meiner Idee meine Gesundheit noch besser in den Griff zu kriegen: "Fit, aber nicht gesund? Mein Selbstversuch mit Blutzuckersensoren"
Meine persönliche Bilanz
Mein Laborbefund hat mir gezeigt, dass „alles im Normbereich“ nicht gleichbedeutend mit optimaler Gesundheit ist. Ein paar Gläser Wein pro Woche, auf die ich nie großen Wert gelegt habe, entpuppten sich als entscheidender Faktor für meine hohen Triglyzeride. Mein tägliches Walken ist zwar ein Segen fürs Herz, reicht aber nicht aus, um den Zuckerstoffwechsel in Schach zu halten.
Heute verzichte ich – bis auf seltene Feiern – auf Alkohol, habe regelmäßiges Krafttraining fest eingeplant, kombiniere verschiedene Quellen ungesättigter Fette, halte mein Protein hoch und prüfe gemeinsam mit meinem Arzt gezielt, welche Supplements tatsächlich sinnvoll sind. Es ist ein erheblicher Aufwand, das alles ohne Medikamente umzusetzen, aber für mich fühlt es sich richtig an. Ich übernehme die Verantwortung für meine Werte – nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung, dass echte Gesundheit mehr ist als ein kurzer Blick aufs Laborblatt.
Wissenschaftliche Quellen
[1] European Society of Cardiology (2019): Guidelines for the management of dyslipidaemias. Eur Heart J 2019;40:2993–3058.
[2] Colberg SR et al. Exercise and Type 2 Diabetes: Joint Position Statement. Diabetes Care 2016;39:2065–2079.
[3] Thompson PD et al. Exercise and Physical Activity in the Prevention and Treatment of Atherosclerotic Cardiovascular Disease. Circulation 2003;107:3109–3116.
[4] Schwingshackl L et al. Effects of Resistance Training on HbA1c and Glucose Levels in Type 2 Diabetes: Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med 2016;46:139–152.
[5] Grundy SM et al. 2018 AHA/ACC Guidelines on Blood Cholesterol. Circulation 2019;139:e1082–e1143.
[6] DiNicolantonio JJ et al. Added Sugar and Cardiovascular Disease Risk. Prog Cardiovasc Dis 2016;59:5–13.