Hallo deadlifter,
mir scheint, Du hast mich nicht ganz verstanden. Tja, wo fange ich nun am besten an? Mir fällt es momentan schwer, eine nachvollziehbare Struktur in meine Argumentation zu bringen.
Ich versuche es trotzdem mal und hoffe, man kann mir folgen...
Kurt macht m.E. verschiedene Fehler: Er glaubt dem Bodybuilding von außen eine Definition überstülpen zu können. Aus seiner Sichtweise als Mediziner hat er vor allem erst mal die Pathologie im Kopf und sucht sich dann Fälle, die scheinbar(!) in dieses Muster passen und nennt sie dann Bodybuilder. Will man aber das Wesen des Bodybuildings analysieren, muss die Vorgehensweise eine völlig andere sein. Kurt macht sich fataler Weise nicht zum Analysierer der Wirklichkeit, sondern zum Definierer der selben. Und Kurt weigert sich ganz offenbar im BB etwas anderes zu sehen, als er darin sehen will. Aus meiner Perspektive bin nicht ich es, der das Wesen des BB nicht versteht, sondern vielmehr Kurt, der sich nicht in die Lebenswelt eines BB hineinversetzen kann.
Will man das Wesen des Bodybuildings studieren, muss man vor allem die genuin medizinische Sichtweise ablegen und eher die Brille eines Kultur- oder Sozialwissenschaftlers aufsetzen. Man muss explorativ und möglichst unvoreingenommen an das Phänomen BB herangehen. D.h. ich muss mir jene suchen, die von sich meinen in die Schublade Bodybuilding zu gehören und muss versuchen deren Lebenswelt und deren Definition von der Sache nachzuvollziehen. Ähnlich dem, wie ein Völkerkundler auf entdeckende Weise eine andere Kultur untersucht, denn auch BB ist Kultur – Körperkultur – wenn auch eine "Körpersubkultur".
Kurts Sichtweise ist in mehreren Ebenen fehlerhaft. Wie ich bereits sagte, bin ich der Meinung, dass es im BB nicht um Narzissmus geht, sondern um die Liebe zu einer ganz bestimmten Ästhetik an sich, eine Liebe zu einer besonderen Form der Körperkultur, welche gleichzeitig (und das ist entscheidend) eine Verbindung zum sportlichen Wettkampf eingeht. Es geht im Wettkampf-BB dann natürlich darum, dies möglichst auf die Spitze zu treiben. Hier wandelt sich das angestrebte Ideal zu einem ganz eigenen sportlichen Ziel – da geht es dann wahrscheinlich auch gar nicht mehr um Schönheit schlechthin (und damit eben auch erst Recht nicht mehr um Selbstverliebtheit/Eitelkeit), sondern es geht eben darum, die Muskelform noch deutlicher herauszuarbeiten als der sportliche Konkurrent dies geschafft hat. Es geht dann darum, so wenig Wasser und so wenig Fett wie möglich unter der Haut zu haben und möglichst große Muskeln und eine gute Symmetrie aufzuweisen – und zwar (und das ist m.E. auch ganz wichtig !!!) eben NICHT mehr, weil dies ein Schönheitsideal darstellt, sondern weil es zu einer ganz eigenen sportlichen Herausforderung geworden ist. Diese sportliche Herausforderung hat sich ab einem bestimmten Punkt vom Schönheitsideal (und damit von jedem Narzissmus) abgenabelt – sie hat eine gewisse Autonomie erreicht. BB wird dann zum Muskelwachstum um der sportlichen Herausforderung Willen. Da geht es nicht mehr nur um die Frage, ob etwas schön ist, sondern darum, ob man ein bestimmtes Ding auf die Spitze treiben kann. Es geht darum, seine Leistung in einem eng umgrenzten Feld zu messen – an sich selbst und am sportlichen Gegner.
Ebenso wie der Kugelstoßer seine Kugel wegen der ihm inne wohnenden sportlichen Herausforderung wirft (und nicht weil der den Zwang verspürt, er müsse eine Kugel durch die Gegend werfen).
Das alles schließt natürlich nicht aus, dass es im BB krankhaften Narzissmus geben kann, dieser ist m.E. aber nicht Definitionsmerkmal des BB. Im Übrigen gehe ich nicht von einer – wie Kurt glaubt – sehr weiten Begriffsdefinition aus, sondern vielmehr erst mal auch von einem restriktiven Bedeutungsinhalt. Nämlich dem, was auch gängige Fremdwörterlexika als Minimalkonsens anbieten – nämlich dies: "körperl. Training zur Ausbildung guter Körperformen".
Für einen Leistungsbodybuilder ist jeder,der kein Doping nimmt in der Regel erstmal grundsätzlich ein schmaler Fitnesstyp und er sieht sich selber ebenfalls als schmall an,selbst wenn er 120 Kg auf die Waage bringt!
Ich finde es merkwürdig, dass in diesem Forum bei praktisch jeder Gelegenheit auf Wissenschaftlichkeit Wert gelegt wird und man sich dazu berufen fühlt, Mythen zu widerlegen, während hier dann auf einmal solche ungeprüften, vorurteilsbehafteten Behauptungen dieser Art aufgestellt werden. Ich frage Dich: Kannst Du Deine Behauptung auch nur annähernd handfest untermauern?
Zudem sind die Körper der heutigen Profibodybuilder alles andere als ästetisch!(zumindest nicht in den Augen normal denkender Menschen)
Wie ich schon versucht habe anzudeuten, kannst Du nicht Dein eigenes Verständnis von Ästhetik und Normalität als Beurteilungsmaßstab wählen. Wenn ein 17jähriger Punk auf eine 70jährige Oma trifft, prallen auch verschiedene Sichtweisen bezüglich der Frage, was als ästhetisch definiert werden kann, aufeinander. Wer kann sich denn anmaßen, die Definitionshoheit über die Frage zu haben, was Schönheit ist? Kurt? Du? Ich?
Wenn irgendwelche afrikanischen Naturvölker sich künstlich mit einer Art Halskrause die Hälse auf unnatürliche Weise verlängern (auch das gibt es), kannst Du auch nicht einfach vom hohen Ross herunter über diese Leute urteilen. Dabei ist darüber hinaus auffällig, dass weder die grün gefärbten Haare des Punkers, noch die künstlich verlängerten Hälse des Naturvolks etwas mit Natürlichkeit zu tun haben (ebenso wenig, wie ein geschminkte Frau natürlich ist – und trotzdem empfinden wir sie als schön). Wer sagt denn, dass sich ein „gesunder“ oder „normal denkender“ Mensch nur an Durchschnittlichkeit oder Natürlichkeit erfreuen kann? Schönheitsideale sind ein variables Kulturprodukt. Ein Mensch kann sich z.B. auch über die Ästhetik eines architektonischen Meisterwerkes erfreuen, obwohl dies ganz und gar nicht natürlich, sondern ein Kulturprodukt ist. Und auch BB ist nur dann zu verstehen, wenn man es nicht von seinem kulturellen Bedingungsgeflecht loslöst (und zudem die vorher besprochene sportlicher Herausforderung anerkennt). Da fällt mir gerade ein: In der Nazizeit, wurden verschiedene Kunststile auch als „entartete“ Kunst diffamiert – vielleicht sollte man mal darüber nachdenken...
Dabei muss man zusätzlich eben – wie ich bereits sagte - noch bedenken, dass eben nicht jeder, der BB betreibt oder sich als BB definiert, unbedingt wie Markus Rühl aussehen will.
Und auch wenn dies so wäre, wäre es belanglos.