Warum Muskeln Kohlenhydrate lieben – nicht nur Protein

Warum Muskeln Kohlenhydrate lieben – nicht nur Protein

deepkhicher pixabay

Einseitige Mythen: Protein ist nicht allein der Held

Manche Bodybuilder betrachten Kohlenhydrate wie Vampire das Sonnenlicht: gefährlich, überflüssig, irgendwie verdächtig. Dabei sind Carbs nicht der Feind des Muskelaufbaus – im Gegenteil. Wer nach dem Training nur auf Eiweiß setzt und die Kohlenhydrate wie einen schlecht gelaunten Ex-Partner meidet, der verzichtet auf einen entscheidenden Hebel in Sachen Regeneration und Muskelzuwachs.

Zeit also für ein klärendes Gespräch mit dem meist unterschätzten Makronährstoff auf dem Post-Workout-Teller:

Ohne Kohlenhydrate keine vollen Speicher – und keine vollen Muskeln

Fangen wir mit einem der größten Missverständnisse an: Ja, Proteine sind wichtig. Sie liefern die Aminosäuren, die dein Körper braucht, um Mikroverletzungen in den Muskelfasern zu reparieren und daraus neue, stärkere Muskeln zu bauen. Aber ohne Kohlenhydrate fehlt dieser Reparaturmannschaft der notwendige Stromanschluss. Denn Kohlenhydrate sind die Hauptquelle für Muskelglykogen – also den Treibstoff, den dein Körper bei Belastung bevorzugt. Nach dem Training sind diese Speicher weitgehend leer. Wer dann nur auf Eiweiß setzt, lässt seine Muskeln hungrig im Halbdunkel sitzen.

Regeneration mit System – was die Forschung sagt

Wissenschaftlich belegt ist, dass die Wiederauffüllung der Glykogenspeicher nach einem Training durch Kohlenhydratzufuhr nicht nur effektiver, sondern auch schneller abläuft. Und das ist entscheidend: Denn je schneller sich deine Speicher regenerieren, desto schneller bist du wieder leistungsfähig – sei es für die nächste Einheit oder für den Alltag, der ja bekanntlich auch nicht nach Muskelkater fragt. Studien zeigen zudem, dass eine Kombination aus Kohlenhydraten und Protein die Glykogenresynthese besser unterstützt als Kohlenhydrate allein – vorausgesetzt, die Proteinmenge ist sinnvoll dosiert.

Insulin – der vergessene Verbündete der Muskelzelle

Aber Kohlenhydrate leisten noch mehr: Sie fördern die Ausschüttung von Insulin, einem Hormon, das nicht nur für den Blutzuckerspiegel zuständig ist, sondern auch als anaboles Signal fungiert. Heißt konkret: Insulin transportiert Aminosäuren in die Muskelzellen, wo sie zur Reparatur und zum Wachstum verwendet werden. Gleichzeitig hemmt es katabole Prozesse, also den Abbau von Muskelmasse. Das ist besonders für alle wichtig, die nach dem Training nicht gleich zur nächsten Mahlzeit greifen oder deren Proteinshake eher aus Geiz denn aus Genuss zusammengemixt ist.

Kohlenhydrate und Eiweiß – das Dream-Team des Muskelaufbaus

Es ist ein bisschen wie beim Hausbau: Eiweiß sind die Ziegelsteine, Kohlenhydrate liefern den Mörtel, das Baugerüst und den Strom für die Betonmischmaschine. Ohne Carbs bleibt der Muskelbau also buchstäblich stecken – oder verläuft langsamer, ineffizienter und mit deutlich höherem Risiko für Übertraining. In der Praxis bedeutet das: Wer nach dem Workout eine Kombination aus hochwertigem Eiweiß (z. B. Whey, Quark, Joghurt, pflanzliche Alternativen) und moderaten Kohlenhydraten (z. B. Haferflocken, Banane, Vollkornbrot) konsumiert, schafft die ideale Umgebung für Muskelregeneration.

Low Carb ist keine Religion – zumindest nicht für Muskeln

Der Mythos vom "Low Carb gleich mehr Muskel" basiert häufig auf Missverständnissen aus der Diätphase – wo man Fett verlieren will, nicht Muskeln aufbauen. In der Aufbauphase, aber auch im leistungsorientierten Training mit hohem Volumen, kann ein bewusster Umgang mit Kohlenhydraten den Unterschied machen.

Selbst in ketogenen Diäten sieht man inzwischen Strategien wie das sogenannte "Targeted Keto", bei dem gezielt rund ums Training Kohlenhydrate eingesetzt werden, um genau diesen Effekt der verbesserten Regeneration und Proteinsynthese zu erreichen. Ketofreunde dürfen also aufatmen – auch sie müssen nicht für immer in der carbfreien Wüste wandeln.

Wie viel ist sinnvoll – und womit kombinieren?

Die Dosierung hängt natürlich vom Trainingsvolumen, der Körpermasse und dem Ziel ab. Für die meisten Freizeitsportler genügt eine Portion von 20–30 g Protein und 30–60 g Kohlenhydraten in der ersten Stunde nach dem Training. Wer es einfach mag, mixt sich einen Shake aus Banane, Whey und Hafermilch. Wer lieber beißt als trinkt, kann auch auf ein Vollkornbrot mit Hüttenkäse und etwas Honig setzen. Entscheidend ist nicht die Instagram-Tauglichkeit des Tellers, sondern der Effekt auf die Muskeln.

Mehr Masse durch Mathe? Nein – durch Kombination und Timing

Natürlich darf man auch übertreiben. Der "Gainer-Komplex" aus 1000 Kalorien in Pulverform, halb Zucker, halb Milchpulver, ist selten notwendig – es sei denn, man ist Leistungssportler mit drei Einheiten pro Tag oder jemand, der glaubt, Massephase bedeute Pizza mit Kreatin. Für alle anderen gilt: Qualität schlägt Quantität. Und auch Kohlenhydrate wollen mit Verstand und Timing eingesetzt werden.

Kohlenhydrate sind keine Gegner, sondern Verstärker

Wer also wirklich Muskelzuwachs und eine schnellere Regeneration will, lässt nach dem Training nicht nur das Eiweiß zu Wort kommen, sondern lädt auch den Kohlenhydrat-Kollegen freundlich an den Tisch. Die beiden arbeiten nämlich am besten im Team. Und dein Muskel wird es dir danken – nicht nur mit Masse, sondern mit echter Performance.

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