>Laufen und Cannabis: Ein Joint, ein Stern-Artikel und sehr viel Recherche

Steuermann
Fitness Expert
Laufen und Cannabis: Ein Joint, ein Stern-Artikel und sehr viel Recherche

Manchmal beginnt eine längere Recherche mit einem einfachen Scroll-Moment auf dem Smartphone. In meinem Fall war es ein Artikel auf Stern.de, der sich mit der Frage beschäftigte, ob ein Joint beim Laufen die Leistung verbessern kann. Eine Mischung aus Verwunderung, Neugier und einem leisen „Ernsthaft jetzt?“ hat dafür gesorgt, dass ich nicht nur bis zum Ende gelesen, sondern mich anschließend deutlich intensiver mit dem Thema befasst habe.

Denn wenn Medien beginnen, Cannabis und Sport in einem Atemzug zu erwähnen, schaltet bei vielen automatisch der Wunsch nach einfachen Antworten ein: „Hilft es oder schadet es?“ – als wäre das Ganze ein Produktvergleich im Supermarktregal.

Wie ich bei einem Stern.de-Artikel hängen geblieben bin

Der Stern.de-Artikel war genau das, was man von einem großen Nachrichtenportal erwarten kann: ein leichter Einstieg in ein schwieriges Thema, verpackt in alltagstaugliche Sprache, mit ein paar Beispielen aus der Praxis und ein paar Hinweisen auf die Studienlage. Man versteht schnell, worum es geht, und fühlt sich als durchschnittlicher Laufmensch erstmals abgeholt:

Da sind Leute, die vor dem Laufen kiffen, und die Frage im Raum, ob das eine gute Idee sein könnte. Der Text beschreibt die Faszination, die viele mit Cannabis verbinden, und deutet an, dass manche Läuferinnen und Läufer subjektiv das Gefühl haben, fokussierter oder entspannter zu sein. Es ist ein Artikel, der neugierig macht – und genau das hat er bei mir getan.

Gleichzeitig bleibt der Beitrag an einem Punkt stehen, der für viele Leser zwar ausreichend ist, für jemanden mit wissenschaftlichem Interesse aber eher ein Startsignal darstellt: Es gibt Hinweise, es gibt Stimmen, es gibt Zitate – aber die zugrundeliegende Datenlage wird nicht systematisch aufgerollt.

THC und CBD werden nicht sauber getrennt, Dosierungen spielen kaum eine Rolle, und die Frage, ob es Unterschiede zwischen kurzfristigen Effekten und langfristigen Risiken gibt, bleibt im Hintergrund. Kurz gesagt: Der Artikel ist ein ordentlicher Türöffner, aber kein Raum, in dem man bleiben sollte, wenn man ernsthaft über Leistung, Sicherheit und Gesundheit sprechen will.

Was der Stern-Artikel gut macht – und was er liegen lässt

Fairness zuerst: Der Artikel erfüllt sein Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen und einen Diskurs anzustoßen. Er zeigt, dass Cannabis längst in der Lebensrealität vieler Sportler angekommen ist, und beschönigt auch nicht komplett die Risiken. Wer vorher noch nie von der Kombination Laufen und Joint gehört hat, weiß nach der Lektüre zumindest grob, worüber diskutiert wird. Genau das ist die klassische Stärke populärer Online-Texte: Sie holen ein Thema aus der Nische und stellen es einmal in die Mitte des digitalen Wohnzimmers.

Aber dort bleibt der Beitrag dann auch stehen. Die wissenschaftliche Ebene wird eher gestreift als sortiert, die untersuchten Stichproben, Methodiken oder Einschränkungen der Studien kommen kaum vor. Dass sich Effekte je nach Art der Einnahme, Intensität der Belastung oder psychischer Ausgangslage stark unterscheiden können, bleibt eher eine Randnotiz.

Auch die wichtige Unterscheidung zwischen subjektivem Wohlbefinden („Es fühlt sich leichter an“) und objektiver Leistungsfähigkeit („Ich war wirklich schneller oder ausdauernder“) wird nur angerissen. Für ein Massenmedium ist das verständlich – für jemanden, der sich ernsthaft fragt, ob Cannabis Teil seines Trainingstools werden sollte, ist es zu wenig.

Was die Forschung wirklich über Cannabis und Laufen sagt

Schaut man in die Fachliteratur, wird das Bild schnell weniger romantisch. Studien, die Ausdauerleistung und Cannabis direkt untersuchen, sind zwar nicht zahlreich, aber doch aussagekräftig genug, um ein paar klare Tendenzen zu erkennen. Bei vielen Probanden sinkt die maximale Leistungsfähigkeit leicht, Reaktionszeiten werden langsamer, und die koordinativen Fähigkeiten verschlechtern sich.

Besonders bei höheren Intensitäten zeigt sich, dass das Herz-Kreislauf-System mehr belastet wird, während die Leistungsdaten nicht besser, sondern eher schlechter werden. Kurz: Der Körper arbeitet härter, ohne dass am Ende mehr Tempo oder Distanz herausspringt.

Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass Cannabis bei manchen Sportlern die subjektive Wahrnehmung von Anstrengung reduziert. Mit anderen Worten: Das Laufen fühlt sich weniger schlimm an, auch wenn die objektiven Leistungswerte nicht steigen. Hinzu kommt, dass Cannabis bei manchen Menschen Angst und innere Unruhe dämpft, was theoretisch dazu führen kann, dass sie überhaupt erst vor die Tür gehen und anfangen zu laufen. Zwischen „es hilft mir, die Laufschuhe anzuziehen“ und „es macht mich leistungsfähiger“ liegen jedoch Welten, die man nicht einfach übergehen sollte.

Subjektives High versus objektive Leistung

Hier kommen wir zu einem Kernproblem der Debatte, das im schnellen Online-Journalismus oft zu kurz kommt: Sport ist nicht nur Physiologie, sondern auch Psychologie. Wer einen Joint raucht und anschließend joggen geht, erlebt nicht nur biochemische Effekte, sondern auch eine Erwartungshaltung. Wenn ich glaube, dass mich Cannabis kreativer, lockerer oder konzentrierter macht, werde ich vieles von dem, was dann passiert, durch genau diese Brille wahrnehmen. Das nennt man Placebo – und der ist, egal ob bei Supplements oder Substanzen, ein mächtiger Mitspieler.

Das bedeutet nicht, dass jede positive Erfahrung eingebildet ist. Es heißt nur: Wer seine Lauferfahrung beschreibt, spricht über Innenwelt, nicht über Stoppuhr und Laktatmessung. In den Studien zeigt sich oft, dass Läufer ihre Einheiten als angenehmer empfinden, obwohl objektiv keine Leistungssteigerung sichtbar ist. Und genau hier ist die entscheidende Frage:

Will ich beim Sport hauptsächlich genießen – oder gezielt meine Leistung steigern? Für Genuss braucht es keine Daten, nur ein ehrliches Gefühl. Für Trainingseffekte aber braucht es Klarheit darüber, was eine Substanz tut, und wo sie im Zweifel mehr Risiko als Nutzen erzeugt.

Sicherheitsrisiken: Straßenverkehr, Herz und Lunge

Der Teil der Debatte, der in Lifestyle-Texten gerne etwas leiser formuliert wird, lässt sich nicht wegdiskutieren: Cannabis beeinflusst Koordination, Aufmerksamkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Wer bekifft auf dem Laufband in seinem Wohnzimmer joggt, mag damit noch vergleichsweise glimpflich davonkommen. Wer jedoch im Straßenverkehr, auf unbeleuchteten Wegen oder in komplexem Gelände unterwegs ist, erhöht das Verletzungsrisiko deutlich. Ein Schritt zu spät, ein falsch eingeschätztes Auto, ein Bordstein übersehen – und aus dem vermeintlich entspannten Lauf wird ein medizinischer Einsatz.

Dazu kommen kardiovaskuläre Aspekte: Cannabis kann Herzfrequenz und Blutdruck ansteigen lassen, gerade bei weniger erfahrenen Konsumenten oder hohen Dosen. Wer dann noch intensive Intervalle oder Bergrennen absolviert, mischt mehrere Belastungsfaktoren, ohne wirklich zu wissen, wie der eigene Körper darauf reagiert. Beim Rauchen kommen zudem klassische Nachteile hinzu: gereizte Atemwege, eingeschränkte Lungenfunktion und mittelfristig eine schlechtere Sauerstoffversorgung. Für eine Sportart, die darauf basiert, dass möglichst viel Sauerstoff effizient verarbeitet wird, ist das – freundlich formuliert – keine geniale Ergänzung.

THC, CBD und das große Durcheinander

Ein weiterer Punkt, der im Stern.de-Artikel nur angedeutet wird, ist die Unterscheidung zwischen THC und CBD. Beide stammen aus der Cannabispflanze, haben aber unterschiedliche Wirkprofile. THC ist der psychoaktive Teil – der Stoff, der für das „High“ verantwortlich ist. CBD hingegen wirkt nicht berauschend, wird aber diskutiert, wenn es um Entzündungshemmung, Regeneration und Schlafqualität geht. Viele Sportlerinnen und Sportler, die Cannabis „im Sport“ nutzen, meinen in Wahrheit völlig unterschiedliche Dinge: Die einen sprechen von einem Joint vor dem Training, die anderen von CBD-Tropfen nach der Einheit.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das ein Problem, weil es jede saubere Bewertung verwischt. Vieles, was als „Cannabis hilft mir beim Sport“ beschrieben wird, ist möglicherweise ein CBD-Effekt auf Schmerzen, Schlaf oder Nervosität. Anderes ist klar THC-getrieben und betrifft eher Motivation, Wahrnehmung und Stimmung. Solange beides in einen Topf geworfen wird, ist jede differenzierte Empfehlung schwierig. Wer seriös über Cannabis im Sport sprechen möchte, muss genau sagen, worüber er redet – sonst haben wir am Ende nur eine große Anekdoten-Suppe mit enorm breitem Interpretationsspielraum.

Runner’s High, Endocannabinoide und die Frage: Brauche ich das überhaupt?

Spannend wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass der Körper selbst über ein endogenes Cannabinoid-System verfügt. Beim Langstreckenlauf steigt der Spiegel bestimmter Botenstoffe an, die strukturell den Wirkstoffen aus der Cannabispflanze ähneln. Das berühmte „Runner’s High“ dürfte nicht nur von Endorphinen, sondern auch von diesen endogenen Cannabinoiden geprägt sein. Mit anderen Worten: Wer regelmäßig läuft, produziert sein eigenes, körpereigenes „Cannabislicht“, ohne Nebenwirkungen wie verminderte Reaktionsfähigkeit, rechtliche Probleme oder Rauchbelastung für die Lunge.

Damit stellt sich eine ganz praktische Frage: Wenn der Körper diese Mechanismen ohnehin aktiviert, warum sollte ich dann zusätzlich THC ins System werfen – vor allem, wenn die Leistungsdaten nicht besser, sondern eher schlechter werden? Natürlich kann man argumentieren, dass jemand, der sonst überhaupt nicht in Bewegung kommt, mit einer bestimmten Kombination aus Ritual, Musik und Joint zumindest den ersten Schritt nach draußen findet.

Aber das ist eher eine Notlösung als eine Trainingsempfehlung. Für alle, die ernsthaft an ihrer Fitness und Gesundheit arbeiten wollen, ist das körpereigene Runner’s High immer noch die elegantere, sauberere und langfristig vernünftigere Option.

Was Läufer aus dem Hype wirklich mitnehmen können

Wenn ich heute auf den Stern.de-Artikel zurückblicke, war er vor allem eins: ein Impuls. Er hat gezeigt, dass die Kombination aus Laufen und Cannabis längst in der Mitte der Lifestyle-Debatte angekommen ist und dass viele Menschen neugierig sind, ob man nicht irgendwie Genuss, Rausch und Training zusammenbringen kann. Gleichzeitig hat die anschließende, tiefergehende Recherche sehr deutlich gemacht, dass zwischen medialem Interesse und echter evidenzbasierter Empfehlung eine große Lücke klafft.

Ja, Cannabis kann Gefühle von Entspannung und Fokussierung erzeugen. Ja, manche fühlen sich damit motivierter, überhaupt loszulaufen. Aber nein, es ist kein Wundermittel für bessere Zeiten, höhere VO2max oder sichere Tempodauerläufe im Stadtverkehr.

Wer ernsthaft läuft, leistungsorientiert trainiert oder einfach gesund bleiben möchte, ist mit klassischen Werkzeugen nach wie vor besser bedient: klug aufgebautem Trainingsplan, ausreichend Schlaf, vernünftiger Ernährung, Regeneration, gegebenenfalls physiotherapeutischer Begleitung und einer Portion innerer Motivation, die nicht aus einem Rauchgerät kommt. Medienartikel wie der auf Stern.de sind hilfreich, weil sie diese Themen ins Bewusstsein holen.

Aber sie sollten immer als Startpunkt verstanden werden, nicht als Endstation. Am Ende bleibt die vielleicht unsexy, aber ehrliche Erkenntnis: Der beste Booster fürs Laufen ist nicht der Joint, sondern die Kombination aus konsequentem Training, kritischem Denken und einem Körper, der seine eigenen Glücksbotenstoffe sinnvoll nutzt – ganz ohne zusätzliche Wolke.

Fußnoten: 1) Bidwell LC et al. Cannabis use and exercise behavior: results from the National Survey on Drug Use and Health. Mental Health and Physical Activity, 2019. 2) Papanastasiou G et al. Acute effects of cannabis on exercise performance. Sports Medicine Open, 2024. 3) Fuss J et al. A runner’s high depends on cannabinoid receptors in mice. PNAS, 2015.


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