Der Oktober ist rosa. Seit Jahren steht der Monat weltweit im Zeichen der Brustkrebsaufklärung, von medizinischer Prävention bis zu emotionalen Solidaritätsbekundungen. Kliniken, Städte, Unternehmen und Vereine setzen pinke Zeichen – mal laut, mal leise, aber fast immer sichtbar. Und doch: In einem Bereich bleibt es überraschend still. In Deutschlands Fitnessstudios herrscht auffällige Zurückhaltung.
Keine Charity-Kurse, keine prominenten Spendenläufe, keine öffentlichen Kooperationen mit Brustzentren. Wer gehofft hatte, dass ausgerechnet Orte, die mit Gesundheit, Prävention und Körperwahrnehmung werben, eine aktive Rolle übernehmen – wird enttäuscht.
Pink ist nicht gleich Purpose
Würde man Simon Sineks berühmten Golden Circle auf die Fitnessbranche anwenden, dann müsste man sich fragen: Was ist eigentlich das „Why“ hinter den Studios? Wenn man sich im Oktober so umsieht, lautet die ernüchternde Antwort oft: Mitgliederzahlen!
Denn so sehr der Monat Gelegenheit böte, Solidarität zu zeigen, echte Aufklärung zu leisten und den eigenen Trainerstab wenigstens oberflächlich für das Thema zu sensibilisieren – es bleibt meist beim rosafarbenen Instagram-Post mit Rabattaktion. - Wer wirklich glaubt, ein rosa Shake an der Theke sei ein Beitrag gegen Brustkrebs, sollte vielleicht sein Geschäftsmodell überdenken.
Verpasste Chance, sagen wir. Denn wer Training verkauft, sollte auch verstehen, was es für Betroffene bedeutet, wieder Vertrauen in den eigenen Körper aufzubauen. Pinktober wäre ein Anlass gewesen, sich zu positionieren – sportlich, medizinisch, menschlich. Stattdessen: Schweigen im Kursraum. Und das ist bezeichnend für eine Branche, die Gesundheit auf der Website verspricht, aber in der Umsetzung lieber Kalorien zählt als Fragen stellt.
Wir auf Fitness.com wählen deshalb einen anderen Weg: Wir schreiben Artikel, in denen Ernährungsempfehlungen, Trainingsanpassungen und einfühlsame Perspektiven für Betroffene vorkommen. Nicht weil’s Likes bringt, sondern weil Brustkrebs nicht erst dann relevant wird, wenn es die eigene Mutter, Schwester oder Partnerin betrifft. Sondern weil es längst eine der häufigsten – korrekt: die häufigste – Krebserkrankung bei Frauen ist.[1]
Pinkwashing oder echter Impact?
Wer in den sozialen Netzwerken sucht, findet sie schon: Pink Week bei außergewöhnlichen Marken, Charity-Kooperationen kleiner Studios, Yoga im Park mit Spendenziel. Doch das sind die Ausnahmen, nicht die Regel. Kommerzielle Ketten wie McFIT, FitX oder clever fit tauchen in keiner der gängigen Aktionslisten auf. Selbst Studios mit großem Social-Media-Engagement beschränken sich auf rosa Profilbilder oder Rabattcodes – was man mit ein wenig Wohlwollen als Zeichen sehen könnte, mit etwas weniger Wohlwollen aber eher als Pinkwashing durchgehen lassen muss.
Eine rosa Schleife auf dem Werbeplakat ersetzt eben keine echte Auseinandersetzung mit dem Thema. Wer als Fitnessstudio wirklich helfen will, sollte mehr tun: spezielle Kursformate anbieten, Trainer für onkologische Besonderheiten sensibilisieren, Kooperationen mit Brustzentren anstreben. Gerade nach einer Brustkrebsdiagnose ist Bewegung ein zentrales Element der Genesung – körperlich wie psychisch. Hier könnte die Branche zeigen, dass sie mehr kann als nur Sixpacks promoten. Tut sie aber nicht.
Und anderswo?
In Kanada, Frankreich, Spanien – und natürlich den USA – wird Pinktober groß gedacht: mit Läufen wie „Race for the Cure“, pink beleuchteten Stadien und flächendeckenden Awareness-Kampagnen. Auch dort gibt es Kritik an Oberflächlichkeit und Marketingwahn, aber zumindest wird das Thema gesellschaftlich getragen. Die Sport- und Fitnessbranche in den USA zeigt sich oft aktiver – etwa durch Spendenklassen, Pink-Yoga-Events oder temporäre Programme für Betroffene.
In Deutschland hingegen bleibt das meiste in den Händen der medizinischen Versorgung und einiger engagierter Sportvereine. Dass Studios mit zigtausend Mitgliedern, professionellen Marketingabteilungen und eigens angestellten Gesundheitsmanagern dieses Thema fast vollständig auslassen, ist nicht nur verwunderlich – es ist entlarvend.
Rosa Kulisse, weißer Fleck
Es ist bezeichnend, dass ein Basketballteam wie die MLP Academics Heidelberg im Oktober spezielle Pinktober-Trikots trägt und versteigert – während die Fitnessstudios der Region mit keinem Wort auf das Thema eingehen. Gleiches in Leipzig, wo Eishockeyspieler in rosa Trikots antreten, um das Brustzentrum der Uniklinik zu unterstützen. Oder in Hamburg, wo Segelaktionen mit Betroffenen organisiert werden. All das zeigt: Sport und Engagement sind keine Gegensätze. Nur in Studios scheint das noch nicht angekommen zu sein.
Wäre Pinktober Teil einer Studioidentität, gäbe es Aufklärungswände, Infoabende, thematische Gruppenstunden. Es gäbe rosa Spinning-Kurse mit Expertenvortrag. Es gäbe Aufmerksamkeit – und nicht nur Likes.
Was wäre eigentlich so schwer daran?
Eigentlich nichts. Die Infrastruktur ist vorhanden. Die Menschen sind interessiert. Und der Nutzen wäre evident. Denn Sport kann nicht nur präventiv wirken, sondern Betroffenen helfen, sich wieder mit dem eigenen Körper zu versöhnen. Gerade Yoga, Pilates als Bodengymnastik oder mit Allegro oder Reformer, und funktionelle Bewegung können dabei zentrale Rollen spielen. Auch Reha-orientiertes Krafttraining – angepasst und betreut – ist ein Schlüssel zur körperlichen wie emotionalen Rückgewinnung von Autonomie.
Aber vielleicht ist das eben der Unterschied zwischen „Health as a Purpose“ und „Health as a Business“. Wer seine Daseinsberechtigung aus dem „Why“ herleitet, wird anders handeln als jemand, der Rabattaktionen im Oktober für ausreichend hält. Der Golden Circle war nie als Marketing-Tool gedacht – sondern als Filter für echte Haltung.
Wir bleiben dran
Fitness.com wird auch weiterhin pink denken, schreiben und handeln – über Oktober hinaus. Unsere Redaktion plant Inhalte, die nicht nur informieren, sondern inspirieren: Ernährung nach der Therapie, Training mit Rücksicht auf Narben und Einschränkungen, psychologische Resilienz im Wiederaufbau. Denn wir glauben: Die Farbe Rosa ist kein Trend. Sie ist eine Verantwortung. Und es ist höchste Zeit, dass das endlich alle begreifen – auch die, die am lautesten von Gesundheit sprechen.
Und übrigens: Der pinke Shake ist erlaubt. Wenn er lecker ist. Und wenn er Teil einer Haltung ist, nicht eines Algorithmus.
Wissenschaftliche Quellen: 1. Exercise in patients coping with breast cancer: An overview – Überblicksarbeit, die zeigt, wie Bewegung Depression, Angst und Lebensqualität bei Brustkrebspatientinnen positiv beeinflusst.
2. Impact of physical exercise programs in breast cancer survivors on quality of life, fitness and body composition – Systematische Review-Analyse, die belegt, dass Sportprogramme Lebensqualität, kardiorespiratorische Fitness und Körperzusammensetzung verbessern.
3. Early Implementation of Exercise to Facilitate Recovery After Breast Cancer Surgery – RCT, der zeigt: Ein kombiniertes Trainingsprogramm (haus- und betreut) verbessert Schulterfunktion und Kraft nach Operation – nach 1 und 6 Monaten.
4. Physical Activity, Exercise and Breast Cancer – Überblick über Wirkungen von Bewegung in der Nachsorge, Einfluss auf Nebenwirkungen, Rückfallrisiko, Überleben.
5. The effectiveness of exercise on the symptoms in breast cancer – Dieser Review zeigt, dass Sport besonders bei allgemeiner Müdigkeit (Fatigue) hilft, wenn auch nicht alles vollständig belegt ist.
6. Outcomes of physical exercises on initiation, progression, and recurrence in breast cancer – Studie, die nahelegt, dass körperliche Aktivität mit niedrigerer Sterblichkeit und Rückfallwahrscheinlichkeit verbunden sein könnte.
7. Physical activity and survival in breast cancer – Epidemiologische Studie: ≥ 2,5 Stunden zügiges Gehen pro Woche nach Brustkrebsdiagnose kann die Sterblichkeit um bis zu 32 % senken.
8. Impact of exercise interventions on physical fitness in breast cancer patients and survivors – Systematische Review zeigt: Trainingsprogramme verbessern die körperliche Fitness und körperliche Leistungsfähigkeit.
9. Exercise Communication for Breast Cancer Survivors – Untersucht, wie Trainingsbotschaften gestaltet sein müssen, um Brustkrebspatientinnen zu Bewegung zu motivieren und deren Lebensqualität zu verbessern.
10. Effects of exercise on inflammation in female survivors of breast cancer – Belege dafür, dass Sport (besonders Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining) Entzündungsmarker senken kann bei Brustkrebsüberlebenden.