Wenn Frühstück zur Geschmackserziehung wird
Der Tag beginnt. Irgendwo pfeift ein Wasserkocher, ein Toaster springt auf, und aus der Werbung tönt der freundliche Imperativ: „Beginne den Tag mit einem Lächeln!“ – Ja, machen wir. Solange die Zähne noch da sind. Denn was da auf dem Frühstückstisch steht, zwischen Toastscheibe und Kinderbegeisterung, ist nicht etwa ein Brotaufstrich, sondern ein Symbol für alles, was in der modernen Ernährung gleichzeitig falsch und verdammt lecker ist.
Der nussige Alibi-Auftritt in einer Zucker-Fett-Bombe
Die Rede ist von jener braunen, streichfähigen Kalorienrakete, die man offiziell als „Nuss-Nougat-Creme“ bezeichnen darf – wobei sich das „Nuss“ in dieser Gleichung sehr zurückhaltend einbringt. Mit rund 13 % Haselnüssen ist sie weit davon entfernt, eine nussige Hauptrolle zu spielen. Sie ist eher der Cameo-Auftritt einer Haselnuss in einem Stück, das Zucker und Fett als Hauptdarsteller aufführt. Über 50 % des Inhalts bestehen nämlich aus Zucker – das ist mehr als in Cola, Gummibärchen oder einer durchschnittlichen Kindheit in den 90ern.
Kindheitserinnerung oder Zuckerkonditionierung?
Und dennoch: Diese Creme ist ein Verkaufsschlager. Generationen von Kindern wurden damit sozialisiert – nicht nur geschmacklich, sondern auch psychologisch. Denn was suggeriert dieses Produkt? Dass Frühstück ohne Süßes keine Liebe ist. Dass Energie gleich Zucker ist. Dass Kinderglück in - ca 20% - Palmöl konservierbar sei.
Zudem stark verarbeitete Laktose und Milchprotein, Kakao nur in homöopathischer Dosierung, und Vanillin (meist auf Erdölbasis) , ein künstlicher Aromastoff, den man sich besser nicht mit der Nase hochzieht, da gibt es Besseres! Und so löffelt sich eine ganze Nation durchs Frühstück – mit vollem Lächeln und leerem Nährwertkonto. Manche nennen es Frühstück. Der Zahnarzt nennt es „Umsatzprognose“.
Sportliche Werbung – metabolisch ein Witz
Sportler haben diese Paste sogar beworben – mit gestählten Oberkörpern, Babyöl auf dem Bauch und einem Lächeln, das aussieht wie aus der Tube gezogen. Sie erzählten von „Kraft am Morgen“ und „langanhaltender Energie“. Man wartete förmlich darauf, dass einer noch „Proteinquelle“ murmelt – als wäre ein halbes Kilo Zucker plötzlich ein Nahrungsergänzungsmittel. Dabei enthält das Produkt auf 100 Gramm weniger Eiweiß als ein halbherzig belegtes Schinkenbrot.
Aber wenn die Kamera läuft, beugen sich selbst muskulöse Leuchtreklamen für saubere Ernährung willig der Marke. Es sind dieselben Typen, die sonst auf Social Media das Etikett von Frühstücksmüslies scannen wie ein Zollbeamter – und dann in der Werbung grinsend die Zuckerschleuder verteidigen.
Das ist keine Markenbotschaft mehr – das ist käuflicher Körperkult. Und man fragt sich: Wann genau wurde der Begriff „Influencer“ zum Synonym für Stricher mit Rabattcode?
Und die „Energie“, von der sie sprechen? Die ist da – für exakt 27 Minuten. In Form eines Zuckerschocks, der zuverlässig dafür sorgt, dass man gegen 10 Uhr vormittags das Bedürfnis hat, entweder zu schlafen oder jemandem grundlos ins Gesicht zu schlagen. Die Zähne sagen „Nein“, das Belohnungszentrum sagt „Noch einen Löffel“. Und das Kariesbakterium sagt: „Mahlzeit!“
Aus zahnmedizinischer Sicht: Eine klebrige Katastrophe
Auch aus Sicht der Zahnmedizin ist die Sache spannend. Eine Portion enthält etwa so viel Zucker wie ein Glas Limo – nur dass sie länger auf dem Zahnfleisch liegt. Wer also morgens mit dieser Creme beginnt, beginnt den Tag nicht mit einem Lächeln, sondern mit der stillen Vorfreude auf eine baldige Wurzelbehandlung. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum Kinder beim Zahnarzt immer diese tapferen Bilder malen. Wer das morgens isst, kann sich die Zahnversicherung eigentlich gleich sparen.
Hyperpalatable Food – oder: Der Zuckertrick fürs Gehirn
Natürlich gibt es Gegenargumente. „Aber es schmeckt doch so gut!“ Ja. Genau das ist das Problem. Die Kombination aus Fett, Zucker und Aroma ist biochemisch auf Belohnung optimiert. Nicht umsonst wird das Produkt in Studien zu „hyperpalatable foods“ gezählt – also Lebensmitteln, die unser natürliches Sättigungsgefühl elegant umgehen und direkt aufs Belohnungssystem zielen.
Kurz: Diese Haselnusscreme ist das Tinder der Ernährung. Viel zu schnell verfügbar – und selten eine gute Idee am Morgen danach.
Verpackte Nostalgie – ökonomisch genial, physiologisch fatal
Und dann ist da noch die Verpackung: freundlich, kindlich, voller Versprechen. Man assoziiert Familienglück, Frühstücksidylle, Sonntagmorgen. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Industrieprodukt, das aus ökonomischer Sicht brillant ist – maximale Marge bei minimalem Rohstoffeinsatz. Aber in ernährungsphysiologischer Hinsicht ist es ein Desaster mit hübscher Schleife. Ein gesunder Start in den Tag ist das nicht. Es sei denn, du bist Karies.
Der Fitnesssportler – Opfer seines eigenen Thekenwahns
Und dann wäre da noch unser moderner Fitnesssportler. Der, der glaubt, dass seine Ernährung durch den täglichen Wheyshake, zwei Proteinriegel aus der Theke im Studio und einen sündhaft teuren Pre-Workout-Drink bereits als „optimiert“ gilt. Der Typ, der stolz auf seinen 6er-Pack ist – und trotzdem morgens erst mal einen dicken zuckerschwangeren Haselnussaufstrich aufs Dinkelbrötchen schmiert, weil „man ja was braucht fürs Training“.
Was viele nicht begreifen: Es ist völlig egal, wie clean dein Shake ist, wenn du ihn auf einen zuckerschwangeren Haselnussaufstrich Zuckerschicht kippst, die aussieht wie geschmolzene Halloweenbeute. Dein Bizeps mag optisch überzeugen – aber metabolisch läuft da eher Reality-TV als Wissenschaft. Du kannst keine Definition essen, und du kannst keine Karies wegtrainieren. Oder wie mein Zahnarzt sagen würde: „Fitness fängt nicht an der Hantelstange an – sondern am Frühstückstisch.“
Was „Energie“ wirklich bedeutet
Natürlich behaupten manche, so ein süßer Aufstrich sei ein perfekter Start in den Tag – wegen der „Energie“. Ja, das stimmt sogar. Nur leider ist es die Art von Energie, die dich 30 Minuten lang in ein euphorisches Frühstücks-Feuerwerk katapultiert, bevor du hart in der Realität des Vormittags abstürzt.
Glukose-Rakete gezündet – und dann... Insulin-Notlandung. Kurz: viel Zucker, wenig Substanz – wie ein Politiker vor der Wahl. Wer morgens Zucker löffelt und das „Energie“ nennt, verwechselt ein Streichholz mit Zentralheizung. Dein Körper bräuchte einen stabilen Brennstoff – aber du gibst ihm Silvesterknaller. Und dann wunderst du dich, wenn du um 10 Uhr zitterst wie ein Chihuahua im Schneesturm.
Also ja, lächeln wir ruhig am Morgen. Am besten über uns selbst – weil wir wissen, was wir da tun. Und weil wir immerhin noch genug Zähne dafür haben.