Laufschuhe!?

Laufschuhe!?

„Beinbeuge“ (Foto: fitness Management international)
Wohl jeder, der mit dem Laufen ernsthaft anfangen will und diese Absicht einem erfahrenen Athleten gegenüber äußert, kennt den Rat: "Kauf dir bloß die richtigen Schuhe!"



Leichter gesagt als getan, ...



... ist doch kaum ein anderes Sportgerät in so großer Auswahl und mit so unterschiedlichen Eigenschaften erhältlich wie ein vermeintlich simpler Schuh zum Laufen.



Wie soll man da einen Überblick gewinnen?



Wozu braucht man denn spezielle Laufschuhe?




Eine berechtigte Frage, wo doch ein Barfußläufer wie Abebe Bikila zweimal Olympiasieger im Marathon wurde. Neben dem Schutz vor Kälte und Verletzungen erfüllen Laufschuhe zwei wesentliche Funktionen:



Laufschuhe dämpfen und stützen



Dass auf Asphalt und Schotterweg ein Polster zwischen Fuß und hartem Untergrund nützlich ist, leuchtet ein - was hat es aber mit der Stützfunktion auf sich? Dazu ein kurzer Ausflug in die Biomechanik des Laufens:



Der erste Bodenkontakt erfolgt mit der hinteren Außenseite des Fersenballens. Dann knickt der Fuß leicht nach innen, um mit der Sohle aufzusetzen. Diese als "Pronation" bezeichnete Bewegung ist das natürliche Dämpfungssystem des Sprunggelenks. Auch Längs- und Quergewölbe des Fußes fangen die Belastung ab. Das Körpergewicht verlagert sich nach vorne auf die inneren Zehenballen, von dort erfolgt der Abdruck durch Strecken des Fußes (=Plantarflexion) und der Zehen.



Wie bewegt sich der Fuß beim Laufen?



Neben diesem natürlichen Abrollen gibt es auch den Aufsatz nur mit dem Vorfuß. Die meisten Läufer tun dies bei kurzen schnellen Strecken instinktiv, da mit dieser Technik mehr "Zug" nach hinten möglich ist. Diese Ziehbewegung, die das hohe Tempo erst erzeugt, mildert den Aufprall ebenso ab wie die Elastizität von Achillessehne und Unterschenkelrückseite. Die Wadenmuskeln müssen dabei nicht nur den Fuß beim Abdruck strecken, sondern auch die Dämpfung übernehmen, die sonst durch die Pronationsbewegung geleistet wird.



Diese doppelte Belastung kann bei Ungeübten außer zu einem Muskelkater auch zu Problemen mit der Achillessehne führen. Ein längerer Dauerlauf auf dem Vorfuß sollte daher leichtgewichtigen Läufern vorbehalten sein, die sich durch regelmäßiges Training

allmählich auf diese Technik eingestellt haben! Personen mit Spreizfuß belasten darüber hinaus ihre Mittelfußknochen beim Vorfußlaufen stark und riskieren einen Ermüdungsbruch.


Warum gibt es unterschiedliche Laufschuhe?




Die oben geschilderte Abrollbewegung ist nicht bei jedem dieselbe, sondern weist abhängig von körperbaulichen und motorischen Voraussetzungen Unterschiede auf. Personen mit X-Beinen bewegen ihre Füße anders als solche mit O-Beinen, ein Senkfüßler braucht andere Schuhe als ein Hohlfüßler.



Hohlfuß, Senkfuß und Plattfuß



bezeichnen Abweichungen vom normalen Längsgewölbe zwischen Ferse und Zehenballen. Über seine Beschaffenheit kann man sich selbst ein Bild machen, indem man den Abdruck seines feuchten Fußes betrachtet: Die schmalste Stelle der Figur wird dabei in der Reihenfolge Hohl-, Normal-, Senk-, Plattfuß breiter. Dagegen beschreibt der Spreizfuß ein abgeflachtes Quergewölbe (Fußballen zwischen kleinem und großem Zeh).  Hinweis darauf kann eine stärkere Hornhaut auf den mittleren Zehenballen sein, bei einem intakten Quergewölbe sind dagegen die Ballen der großen und kleinen Zehe stärker belastet als diese.



Neben der statischen Beinstellung, die sich in O- oder X-Beinen äußert, ist auch die dynamische Achse wichtig. Bei einer einbeinigen Kniebeuge vor dem Spiegel kann man feststellen, ob bei einem Winkel von etwa 140 Grad die Knie auf der Linie Hüfte-Fuß bleiben oder nach außen bzw. innen driften. Weiterhin ist die Fußposition beim Gehen von Bedeutung: zeigen die Fußspitzen geradeaus, nach innen oder nach

außen?


Wie wirken sich diese Unterschiede auf die Abrollbewegung aus?


O-Beine, Hohlfuß, Kniebewegung nach außen und Fußspitzen nach innen wirken einer Pronation entgegen, während X-Beine, Senk- und Plattfuß, Kniedrift nach innen und Fußspitzen nach außen das Einknicken verstärken. Man kann mit den o.g. Beobachtungen selbst abschätzen, ob man zu übermäßiger, normaler oder verringerter Pronation neigt. Dies soll und kann aber eine ärztliche Untersuchung nicht ersetzen! Gerade bei extremer Überpronation und Supination (kein Einknicken) ist orthopädische Beratung empfehlenswert, da individuelle Einlagen solche Fehlstellungen besser korrigieren können als Schuhmodelle von der Stange.


Wie finde ich den passenden Laufschuh?


Bei den Herstellern hat sich der Begriff "Cushion"



für neutrale, ungestützte Schuhe etabliert. "Support" steht für Modelle mit moderater Pronationsstütze (oft auch als "Allroundschuh" oder "Stabilschuh" bezeichnet) und "Motion Control" für solche mit starker Korrektur. Ein Trailschuh dagegen ist ein stabiler, robuster Schuh für das Gelände und kann auch ein Cushion-Modell sein!



Äußerlich erkennt man Bewegungskontrollschuhe fast immer am geraden Leisten, d.h. einer an der Innenseite durchgehenden, kaum taillierten Laufsohle. Manchmal sind auch Stützelemente an der Fersenseite sichtbar. Bei Allround- und Neutralschuhen sind dagegen Rück- und Vorfußbereich der Sohle deutlich unterteilt. Dies ermöglicht die natürliche Drehbewegung (Torsion) zwischen Ferse und Vorfuß. Bei Modellen der Oberklasse sorgen dabei spezielle Mittelfußbrücken für eine bessere Führung und mehr Komfort.



Supinierer und Hohlfüßler



Auf eine besonders gute Dämpfung sollten nicht nur schwere Läufer Wert legen, sondern auch Supinierer und Hohlfüßler. Ein solcher Schuh fühlt sich beim Laufen eher hart als komfortabel weich an: Der Aufprall durchdringt "wolkengleiche" Sohlen stärker als "Bretter"! Den Hauptanteil der Dämpfung übernimmt auch bei solchen Schuhen der (meist weiß gefärbte) EVA-Schaum, die speziellen Elemente sorgen nur für die Absorption der Belastungsspitzen. Dies kann mit jedem Material erreicht werden, ob Silikon, Gas, Gel oder Gitter. Eine Umstellung der Lauftechnik auf einen ziehenden Fersenaufsatz bei leicht gebeugtem Knie mildert Stöße ebenfalls wirksam ab. Kürzere Schritte erleichtern diesen Bewegungsablauf.



Die Laufdauer im Laufschuh



Auch die Laufdauer sollte bei der Auswahl eine Rolle spielen: einem geübten Athleten mit geringer Überpronation dürfte ein 10km-Wettkampf in leichten Neutralschuhen keine Probleme bereiten. Dagegen wird die Einknickbewegung mit zunehmender Ermüdung der Beinmuskeln stärker: Für einen Marathon ist derselbe Sportler mit einem stabileren Modell besser beraten.



Vorfußläufer



Vorfußläufer kommen meist mit flexiblen, ungestützten Schuhen am besten zurecht. Eine besonders flache Sohle im Fersenbereich erleichtert die Technik zusätzlich und ein Dämpfungselement unter dem Vorfuß sorgt für mehr Komfort.



Laufschuh kann Pronation überkorrigieren



Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass man durch Überkorrektur der Pronation Beschwerden verstärken oder sogar erst hervorrufen kann, z.B. an der Achillessehne. Es ist somit fraglich, ob angesichts der Alternative individueller Einlagen Motion-Control-Schuhe überhaupt notwendig sind. Auch bedeutet eine übermäßige bzw. schnelle Pronationsbewegung nicht zwangsläufig ein höheres Risiko von Beschwerden und Verletzungen, was der Verfasser durch eigene jahrzehntelange Erfahrung bestätigen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es empfehlenswert, eine eher geringe Pronationsstütze zu wählen und dem Training der Fuß- und Wadenmuskulatur mehr Aufmerksamkeit zu schenken.



Kräftigung der Fussmuskulatur



Neben Koordinationsschulungen wie bewusstem Fersen- und Vorfußlauf, Trampolin, Wackelbrett und Übungen aus dem "Lauf-ABC" sollte auch die Kräftigung durch Barfußlaufen, Greifen mit den Zehen und Unterschenkelgymnastik gefördert werden. Auf die verletzungsvorbeugende und leistungssteigernde Wirkung eines wöchentlichen Krafttrainings für Läufer kann nicht oft genug hingewiesen werden! Das gilt nicht nur für Profis, sondern erst recht für Laufanfänger.



Wie findet man den richtigen Laufschuh?



Nachdem die orthopädischen Kriterien erfüllt sind, sollte allein die Passform und das Laufgefühl über die Auswahl des Schuhs entscheiden! Durch die Biegung beim Abdruck brauchen die Zehen mehr Platz als in normalen Schuhen: Eine Daumenbreite Luft nach vorne ist Minimum. Manche Modelle sind sogar in unterschiedlichen Weiten erhältlich. - Hersteller, Farbe, Style, Werbung oder sportliche Vorbilder sind höchstens drittrangig.


Was sollte ich beim Schuhkauf sonst noch beachten?




Ein Laufschuh ist eines der wenigen Erzeugnisse, die man keinesfalls beim Lebensmitteldiscounter oder von großen Schuhfilialisten kaufen sollte. Auch die bekannten Markenhersteller bieten Einstiegsmodelle für 50-60 € an, unter diesem Preis gefährdet man seine Gesundheit. Ob man ein Spitzenmodell für 150 € braucht ist zweifelhaft, der Technologietransfer auf das gesamte Modellprogramm ist es nicht. No-Name-Produzenten und "Hausmarken" können hier nicht mithalten - das wenige gesparte Geld landet früher oder später beim Arzt oder Apotheker.



Sportgeschäfte mit guter Beratung,



die erkennt man nicht am Laufband!




Kompetente Verkäufer fragen Sie nach Ihren sportlichen Zielen, dem Laufstil, Ihrem Wochenpensum und Laufuntergrund. Sie schauen sich Ihre Beine bis zur Hüfte an und lassen Sie vielleicht sogar die o.g. Übungen machen. Technische Geräte und Computer können eine Beratung nie ersetzen, nur unterstützen. Vorsicht ist geboten, wenn man Sie gleich mit ein Paar Schuhen aufs Laufband schickt. Traurig, aber wahr: 4000€ für solch ein Gerät sind schnell wieder eingespart, wenn man dafür einen fachkundigen Verkäufer weniger einstellt.



Gehen Sie  nicht vormittags ins Ladengeschäft



Ihre Füße schwellen während des Tages ebenso an wie beim Sport. Außerhalb der Stoßzeiten kann sich ein Berater mehr Zeit für Sie nehmen. Ziehen Sie die gleichen Socken an, in denen Sie laufen werden. Nehmen Sie abgelaufene Schuhe mit, ein geübter Verkäufer kann so Ihre Abrollbewegung erkennen. In der von Ihnen benötigten orthopädischen Kategorie sollten mindestens drei Modelle in Ihrer Größe vorrätig sein.



 •  Gehen Sie nur dann auf ein Laufband, wenn Sie es sicher beherrschen, andernfalls weicht Ihr Laufstil zu sehr ab. Stehen Sie nicht herum, sondern bewegen Sie sich in den Schuhen - laufen Sie! Fragen Sie nach, wie lange ein Umtausch möglich ist, falls der Schuh doch nicht passen sollte. Ein seriöses Geschäft bietet diesen Service.



•  Zur Information im Vorfeld können Laufschuhtests einen Überblick verschaffen. Ein guter Test beschreibt möglichst detailliert die unterschiedlichen Eigenschaften und Konstruktionselemente der Modelle. Eine Rangliste, in der Neutralschuhe neben Stabil Modellen stehen, vergleicht Äpfel mit Birnen und ist unbrauchbar.



•  Die Lebensdauer eines Schuhs hängt vor allem von Körpergewicht und Untergrund ab. Ein 60kg-Leichtgewicht kann weit über 1000km auf Waldboden oder Wiese laufen, ohne dass die Dämpfung wesentlich nachlässt. Mit 100kg auf Asphalt kann das gleiche Exemplar bereits nach 600km reif für den Ruhestand sein. Nicht nur den Läuferbeinen, auch dem EVA-Schaum der Sohle hilft ein Ruhetag zur Regeneration.





 

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