„Es gibt einen sehr großen Teil an Hobbysportlern, die systematisch dopen"

„Es gibt einen sehr großen Teil an Hobbysportlern, die systematisch dopen"

So müsste er aussehen, der perfekte Klimmzug für das Fitness-Sportabzeichen
Interview von Daniel Meuren



fitness.com: Herr Dr. Gerlach, Sie haben als Arzt von mehr als zehn
Olympiakandidaten in Individual- und Mannschaftssportarten und als Betreuer eines Profifußballteams des Bundesligaabsteigers Mainz 05 sowie vieler ambitionierter Breitensportler einen tiefen Einblick in die Sportlerszene. Um welche Gruppe machen Sie sich derzeit die meisten Sorgen in der Dopingdiskussion?





Klaus Gerlach: Nicht nur deshalb, weil meine Leistungssportler nicht
dopen, mache ich mir um ambitionierte Breitensportler definitiv die meisten
Sorgen. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 200 000 Hobbysportler in
irgendeiner Form völlig unverantwortlich mit Dopingmitteln hantieren, wobei
sie natürlich anders als Leistungssportler nicht rund um die Uhr betreut
sind. Noch verbreiteter ist der Missbrauch von Schmerzmitteln wie Voltaren.
Breitensportler tendieren mehr und mehr dazu, sich mit dem darin enthaltenen
Wirkstoff Diclofenac vor Marathons oder anderen Wettbewerben vorsorglich
gegen mögliche aufkommende Schmerzen zu wappnen. Die Nebenwirkungen beispielsweise
auf die Bronchien oder die Gefahren für den Magen durch Magenblutungen sind den Leuten gar
nicht bewusst.




fitness.com: Ist das schon Doping, was Hobbysportler da treiben?




Gerlach: Nach den Listen der nationalen und internationalen Anti-Dopingagenturen NADA und WADA gehört der Wirkstoff Diclofenac nicht dazu, obwohl es meines Erachtens überdacht werden sollte.
So aber fehlt es auch in fast keiner Dopingprobe von Profisportlern, weil
Fußballer oder Ausdauersportler sich das Zeug ebenfalls vor dem Wettkampf–
übrigens meist ohne Absprache mit ihren Ärzten - vorsorglich einwerfen,
damit sie ihr Schmerzempfinden minimieren. Dass sie dadurch wegen der
Betroffenheit der Bronchien schlechter atmen können, ist ihnen nicht
bewusst. Diese Schädigung der Bronchien kann übrigens wohl auch der Grund
für die Häufigkeit des Belastungsasthmas unter Spitzensportlern im
Ausdauerbereich sein.




fitness.com: Was treiben Hobbysportler denn sonst noch so?




Gerlach: Viele Sportler kommen ahnungslos zu mir, haben irgendein
alltägliches Medikament genommen. Die sind dann ganz erstaunt, dass ich
ihnen sage, dass das auf der Dopingliste steht. Auch wenn eine Dopingliste
natürlich für einen Hobbysportler keine Bedeutung hat, so ist die Einnahme
eines Medikaments vor einer sportlichen Betätigung natürlich eine
gesundheitliche Gefährdung. Über einen solchen fahrlässigen Umgang mit dem
eigenen Körper hinaus gibt es nach meiner Erfahrung mittlerweile aber auch
einen sehr großen Teil an Hobbysportlern, die bewusst und systematisch
dopen.




fitness.com: Warum tun diese Menschen das? Bei einem Spitzen- oder gar
Weltklassesportler stehen ja wenigstens wirtschaftliche Vorteile in
Aussicht.





Gerlach: Ich denke, dass das in den meisten Fällen dem Körperkult unserer
Gesellschaft geschuldet ist. Viele Hobbysportler finden es toll, extrem
schnell Fortschritte zu machen im Streben nach einem muskulösen Körper oder
einem tollen Erfolg auf seinem sportlichen Niveau. Das wird wie zu einer
Sucht, durch die man die Gefahren höchst fahrlässig ausblendet.




fitness.com: Wo findet der Hobbysportler sein Know-how. Erhält er das bei schwarzen
Schafen der Ärzteschaft?





Gerlach: Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Nach meinen
Erfahrungen ist es eher so, dass sich in manchen Sportarten die Sportler
ganz offen untereinander austauschen, welche Möglichkeiten es so gibt. Das
ist fast schon ein Wettbewerb untereinander, wer sich mehr Doping zutraut.




fitness.com: Wie bekommen Sie das mit?




Gerlach: Mich erreicht das in der Praxis dann über den Weg, dass Sportler
mit kleinen Fläschschen mit Pillen zu mir kommen. Viele Mittel kenne ich erst
einmal überhaupt nicht, erkenne an den Endungen, dass es ein Anabolikum sein
muss. Dann kann ich mich nur wundern und fragen: „Wie kommst Du da dran?"
Dann antworten mir die Sportler: „Das nehmen bei uns jetzt alle! Ich wollte
das jetzt auch mal probieren."




fitness.com: Wie reagieren Sie dann?




Gerlach: Ich biete den Sportlern dann an, dass sie mir das Mittel geben
können, damit ich es aus dem Fenster werfe.




fitness.com: Kommen die Leute denn mit den Mitteln zu Ihnen und fragen um die Gefahren?




Gerlach: Nein, traurigerweise denken die meisten gar nicht an Gefahren.
Sie fragen mich eher: „Wirkt das denn wirklich? Bringt mich das weiter?"
Manche wollen sogar, dass ich ihnen Blut abnehme, ehe sie mit dem Doping
anfangen, damit sie ein paar Wochen später positive Veränderungen
feststellen können, wenn ihr Pillendöschen leer ist. Ich kann dann nur
fassungslos den Leuten ein paar letzte Warnungen mit auf den Weg geben und
ihnen sagen: „Ich werfe Dich jetzt hier raus, Du brauchst hier nie wieder zu
erscheinen." Dann geht den Leuten vielleicht ein Licht auf.




fitness.com: Hat denn die aktuelle Berichterstattung über Doping keine
warnende Wirkung?





Gerlach: Vielleicht ist es auch andersherum. Hobbysportler können
beispielsweise bei der Tour de France auch den Eindruck gewinnen, dass
Doping die Leistung steigert, der Sportler aber dennoch einen ganz gesunden
Eindruck macht. Die wirklich schädlichen Nebenwirkungen kommen ja nicht in
gleicher Weise zur Sprache.




fitness.com: Wo beschaffen sich die Hobbysportler ihre Präparate?




Gerlach: Im Internet. Der Handel mit Dopingmitteln ist laut Statistiken zu
einem unglaublichen Geschäftszweig geworden. Das läuft nach meinem Wissen
über mafiöse Wege via Internet. Kürzlich war beispielsweise eine
Hobbysportlerin bei mir, die im Internet 3500 Euro ausgegeben hat für eine
6-Wochen-Doping-Kur. Sie hat das Zeug aus irgendwelchen kriminellen Kanälen
erworben, weshalb die Preise in solche Regionen vorstoßen.




fitness.com: Was muss man machen, um so viel Geld für Dopingmittel auszugeben?




Gerlach: Diese Sportlerin hat eine Kombination aus Insulin, Wachstumshormonen und
Anabolika eingenommen. Höchstdosiert. Ich wäre beinahe umgefallen.




fitness.com: Was wollte die Sportlerin dann von Ihnen?




Gerlach: Sie war in der vierten Woche dieser Kur und wurde dann doch etwas
nervös wegen körperlichen Problemen. Ein Bekannter habe ihr dann empfohlen,
doch mal die Leberwerte kontrollieren zu lassen. Ich habe ihr dann gesagt,
dass ich die Werte gerne überpüfe unter der Bedingung, dass sie ihre Mittel
sofort absetzt und ich dann nichts mehr davon hören will. Ihre Leberwerte
waren deutlich erhöht, was sie dann doch auch zur späten Einsicht gebracht
hat, sofort aufzuhören.




fitness.com: Ging es bei dieser Frau wenigstens darum, dass sie aus dem Hobbybereich
den Sprung in den Leistungssport schaffen kann?





Gerlach: Nein. Es ging nur um die Befriedigung des eigenen Ehrgeizes und des Egos. Im
konkreten Fall wollte die Frau einfach mal austesten, wie sie auf Doping
anspringt, wie sich ihre Leistungsfähigkeit verändert.




fitness.com: Ist solch ein Umgang mit den ganz harten Dopingpräparaten im Breitensportmilieu verbreitet?




Gerlach: Bei Hauptdrogen wie Epo, Insulin oder Wachstumshormonen gibt es
meines Erachtens schon eine Zurückhaltung bei Hobbysportlern. So weit ist
die Aufklärung dann schon fort geschritten, dass die Gefahren im Umgang mit
diesen Dingen sehr groß ist. Bei der vierten Hauptdroge Anabolika ist das
schon anders.




fitness.com: Was heißt das?




Gerlach: Da herrscht eine große Arglosigkeit unter Hobbysportlern und
das Denken, dass keine Gefahren existieren. Anabolika sind eben auch durch
Fitnessstudios extrem verbreitet. Nicht zu vergessen ist der arglose Umgang
mit den berüchtigten Sprays mit Wirkstoffen wie beispielsweise Salbutamol oder Cortison. So kann man schon
mal beobachten wie vor dem Startschuss eines Radrennens diese Sprays die
Runde unter den Sportlern machen. Jeder nimmt noch schnell mal eine Ladung.




fitness.com: Was müsste passieren, damit sich diese Breitensportler sich der Gefahren bewusst
werden?





Gerlach: Es müsste in der Berichtersattung klarer hervorgehoben werden,
dass Doping gesundheitsschädlich ist. Es geht eben nicht nur um Betrug am
anderen Sportler, sondern um die Gesundheit.




fitness.com: Ist denn die aktuelle Diskussion um Doping eine Chance, dem Breitensportler
die Gefahren aufzuzeigen?





Gerlach: In jeder Krise steckt eine große Chance. Wenn ich aber sehe, dass ein Erik Zabel eine Woche nach seinem
Dopinggeständnis wieder gefeiert wird, dann frage ich mich schon, ob das ein
Hinweis darauf ist, dass die Menschen Doping gar nicht als etwas Verbotenes
wahrnehmen, sondern akzeptieren, dass die Show durch Doping besser läuft.
Die Gesellschaft will sich offensichtlich lieber an drei, vier Helden
berauschen, die unerklärlicherweise deutlich besser sind als alle anderen,
anstatt sich mit den Ursachen dieser Überlegenheit auseinanderzusetzen.
Doping scheint mir unterschwellig in der Gesellschaft akzeptiert.




Interview: Daniel Meuren

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