Kreatin im Sport
Dr. Kurt A. Moosburger, Facharzt für Innere Medizin und Sportarzt
--------------------------------------------------
Mittels zusätzlicher Kreatineinnahme erhofft man sich eine Zunahme des Kreatinphosphats in
der Muskulatur und damit einen größere Kapazität des Energiespeichers für körperliche
Maximalleistungen. Damit sollte es - zumindest theoretisch - möglich sein, nicht nur die
Maximalleistung selbst zu steigern, sondern diese auch länger aufrecht erhalten zu können -
eine Überlegung, die vor allem für Sprintsportarten vielversprechend klingt.
Die wissenschaftliche Forschung über die orale Kreatin-Supplementierung im Sport ist relativ
jung. "Harte", wissenschaftlich belegte Daten gibt es noch nicht viele, dafür um so mehr
empirische Ergebnisse und vor allem subjektive Erfahrungen, in erster Linie aus dem
Bodybuilding, woher sich auch die gängigen Einnahmeschemata ableiten.
Positive Ergebnisse wurden bisher veröffentlicht z.B. bei:
10 x 6 Sekunden Fahrradergometrie bei 820 bzw. 880 Watt: Gesamtleistung verbessert.
3 x 30 Sekunden maximaler isokinetischer Krafteinsatz: bei den ersten zwei Serien
Leistung verbessert .
5 x 30 maximale Beinstreckung: Gesamtkraft gesteigert.
4 x 300m Lauf: Gesamtzeit unverändert, aber höhere Geschwindigkeit auf den letzten
100 Metern.
4 x 1000m Lauf: Gesamtzeit verbessert.
Die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse bei unterschiedlichen Testanordnungen zeigen
auf, dass es nicht so einfach ist, klare und eindeutige Aussagen darüber zu treffen, wann und
bei wem eine orale Kreatinsupplementierung eine tatsächliche, objektivierbare
Leistungssteigerung bewirkt.
Was ist wissenschaftlich belegt?
Hochdosierte orale Kreatinzufuhr (in den publizierten Studien wurden 4 x täglich 5
Gramm - das entspricht dem Kreatingehalt von 4,5 kg rohem Fleisch! - über fünf Tage
verabreicht, Gesamtdosis somit 100 Gramm) kann eine individuell unterschiedliche
Zunahme des Kreatingehalts der Muskulatur bewirken. Ca. 20% des in die Muskelzellen
aufgenommenen Kreatins sind als Kreatinphosphat meßbar, nicht aufgenommenes
Kreatin wird über die Nieren im Harn ausgeschieden. Der ATP-Gehalt der Muskulatur
bleibt unverändert.
Die kurzfristige, hochdosierte Kreatineinnahme bewirkt jedoch nicht bei allen Menschen
eine signifikante Erhöhung des Kreatingehalts der Muskulatur sowie eine Steigerung
der Resyntheserate von Kreatinphosphat in der Erholungsphase nach intensivster
Muskelarbeit.
Welche Erkenntnisse und Schlußfolgerungen für die Praxis ergeben sich aus den bis
dato vorliegenden Forschungsergebnissen?
Es profitieren offensichtlich nur diejenigen Athleten von einer oralen Kreatinsupplementierung, deren Muskulatur noch nicht voll mit Kreatin "gesättigt" ist. Es gibt nämlich einen Grenzwert für den Kreatingehalt der Muskelzelle, der durch zusätzliche Kreatinzufuhr nicht weiter erhöht werden kann (160 mmol/kg Muskeltrockenmasse).
Entscheidend ist letztlich nicht die Höhe des Kreatingehalts der Muskulatur, sondern die des
Gehalts an Kreatinphosphat. Tatsache ist, daß schon durch entsprechendes Krafttraining über
Vergrößerung des Muskelfaserquerschnittes, sprich Muskelhypertrophie, die verfügbare
Menge an Kreatinphosphat gesteigert werden kann. Vereinfacht ausgedrückt: Wer dickere
Muskeln hat, hat auch mehr energiereiches Phosphat zur Verfügung, also einen größeren
Energiespeicher für Maximalleistungen.
Die bisher veröffentlichten Forschungsergebnisse beziehen sich in erster Linie auf eine
kurzfristige, hochdosierte Kreatinzufuhr (s.o.), die in erster Linie als unmittelbare
Wettkampfvorbereitung im Sinne einer Superkompensation gedacht ist (vergleichbar mit dem
Kohlenhydratladen vor einem Ausdauersportwettkampf zur Vergrößerung des muskulären
Glykogenspeichers). Über eine längerfristige orale Kreatineinnahme liegen noch kaum
verwertbare Ergebnisse vor. Es stellt sich die Frage, ob und wann eine solche überhaupt
sinnvoll und nicht eher kontraproduktiv ist.
Für Kreatin gilt nämlich dasselbe wie für die Zufuhr anderer körpereigener Substanzen (z.B.
Cholesterin oder Hormone wie Cortisol, Testosteron usw.): Über einen
Rückkopplungsmechanismus kommt es zur sog. "Down-Regulation", sprich Verminderung der körpereigenen Synthese dieser Substanz. Weiters könnte eine langfristige Erhöhung der
Kreatinkonzentration im Blut zu einer Down-Regulation des Kreatintransports in die
Muskelzelle, also zu einer verminderten muskulären Kreatinaufnahme führen.
Derzeit gibt es noch keine eindeutigen, wissenschaftlich begründeten Richtlinien darüber, wie
eine längerfristige Kreatineinnahme, z.B. in der Aufbauphase eines Trainings, in der
Wettkampfvorbereitung oder in den Überbrückungsphasen zwischen den Wettkämpfen,
erfolgen soll, um die oben beschriebenen Down-Regulationen zu "überlisten" und damit einen
kontraproduktiven bzw. nachteiligen Effekt zu vermeiden. Dies ist zur Zeit Gegenstand
weiterer Studien. Nicht nur die Erhaltungsdosis (offensichtlich genügen 2 Gramm täglich, s.u.),sondern auch das "Timing", der Zeitpunkt der Kreatineinnahme, könnte entscheidend sein. Zur Zeit gibt es hauptsächlich "Kochrezepte", sprich Anleitungen der verschiedenen
Herstellerfirmen und vor allem von Bodybuilding-Trainern.
Eine der Herstellerfirmen empfiehlt z.B. eine dreitägige, hochdosierte "Ladephase" mit ca. 40
Gramm Kreatin täglich, aufgeteilt in sechs Teildosen, und als tägliche Erhaltungsdosis ca. 20
Gramm (drei Teildosen täglich). Man könne aber ohne weiteres bis zu sechs (!) Einzeldosen
täglich auf Dauer einnehmen... Dann wird doch wieder eine Einnahmepause empfohlen...
Über den längerfristigen Einnahmemodus wird man demnach ungenau informiert.
--------------------------------------------------
Aus physiologischer Sicht scheint solch ein Einnahmemodus zur Vermeidung der oben
beschriebenen Down-Regulatiosmechanismem durchaus sinnvoll und effektiv zu sein,
zumindest sprechen die subjektiven Erfahrungen der Bodybuilder, die sich zum Teil auch
objektivieren lassen, dafür: Es kommt beim Training zu einem besseren "Pump", zu einer
Zunahme der Maximalkraft und Kraftausdauer durch die Möglichkeit einer höheren
Trainingsintensität sowie - im Bodybuilding vorrangig - zu einer Körpergewichtszunahme von ca. 3 bis 4 Kilogramm mit einer gewissen Vergrößerung des Muskelquerschnittes. Diese
Gewichtszunahme der "lean body mass" (fettfreie Körpermasse) ist jedoch durch eine
vermehrte Wassereinlagerung in die Muskulatur bedingt und nicht durch eine positive
Stickstoffbilanz mit Proteinneusynthese (Vermehrung der kontraktilen Filamente, den
Myofibrillen) im Sinne einer eigentlichen Hypertrophie. Kreatin ist nämlich osmotisch wirksam, nimmt also bei seiner Aufnahme in die Muskelzelle Wasser mit (wie es z.B. auch Natrium und Glucose tun) und bewirkt so - je nach Ausmaß seiner Aufnahme in die Muskelzelle - eine individuelle "Schwellung" derselben, die nach außen als Hypertrophie imponiert. (Ganz abgesehen von den sonstigen, für das Muskelwachstum viel effizienteren "unterstützenden Mitteln", wie Anabolika und HGH, die ebenfalls "kurmäßig" zur Anwendung kommen, nicht nur im Bodybuilding, sondern natürlich auch im Kraftdreikampf, Gewichtheben, Bobsport, in der Leichtathletik usw...)
Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen macht es keinen Unterschied, ob Kreatin
schnell (s.o.) oder langsam "geladen" wird. Es zeigte sich, dass der Kreatingehalt der
Muskulatur nach der Einnahme von 20 Gramm täglich über 5 bis 6 Tage identisch war mit
dem nach einer 30-tägigen Einnahme von 3 Gramm täglich und in weiterer Folge nicht mehr
erhöht werden konnte. Wenn man nicht unter Zeitdruck steht, ist aus medizinischer Sicht der
langsame Modus zu empfehlen, um etwaige Magen-Darm-Probleme zu vermeiden. Eine
Erhaltungsdosis von nur 2 Gramm täglich genügt, um den erhöhten Kreatingehalt aufrecht zu
erhalten (hier werden von den Herstellerfirmen meist zu hohe Dosen empfohlen, eine
Mehreinnahme führt jedoch nur zu einem "teuren Urin"). Bei Absetzen der Kreatineinnahme
sinkt sein muskulärer Gehalt wieder auf das Ausgangsniveau.
Es liegt auf der Hand, daß eine Kreatinsupplementierung vor einem Wettkampf - analog dem
"Kohlenhydratladen" vor einem Marathonlauf - zur Vergrößerung des Kreatinphosphatgehalts
der schnellen Muskelfasern als Energiespeicher für kurze Maximalleistungen im Sinne einer
Superkompensation für Schnelligkeitsausdauer- und Kraftausdauerdisziplinen zweckmäßig
sein kann (aber nicht muß!). Ein wie im Bodybuilding üblicher "kurmäßiger" Einnahmemodus ist durchaus wirksam und bis dato ohne nachteilige Effekte. Ebenso kann eine längerfristige Einnahme (z.B. während einer Leichtathletiksaison) mit geringer Erhaltungsdosis (s.o.) einen Benefit bringen.
--------------------------------------------------
Bei Zusammenschau aller bisher vorliegenden Erkenntnisse und Ergebnisse über
Kreatinsupplementierung läßt sich folgende Schlußfolgerung ziehen:
Nicht die reinen Schnellkraftsportler (wie Hoch- und Weitspringer, Skispringer,
Gewichtheber) und Kurzstreckensprinter (in der Leichtathletik 60m, 100m) sind die
potentiellen Nutznießer einer zusätzlichen Kreatinzufuhr, da für diese Disziplinen die Kapazität der "normalen" muskulären Kreatinphosphatspeicher ausreichen sollte, sondern eher Athleten von Kraftausdauer- bzw. Schnelligkeitsausdauerdisziplinen (200/400m Sprint, 500m Eisschnellauf, 1000m Bahnradzeitfahren, 100m Kraulsprint usw.), wenn es gelingt, mittels höherer Kapazität an energiereichem Phosphat die Maximalleistung, in diesem Fall
Höchstgeschwindigkeit, über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
Mit anderen Worten, es sollte möglich sein, Stehvermögen und Kurzzeitausdauer mittels einer
vor dem Wettkampf durchgeführten hochdosierten Kreatineinnahme verbessern bzw. steigern
zu können.
Zur Zeit wird eine Kreatinsupplementierung von vielen Trainern, aber auch Masseuren und
anderen "Experten" für so gut wie alle Sportarten empfohlen bzw. "verordnet". Dieser natürlich kommerziell gefärbten Propaganda gilt es kritisch gegenüberzustehen. Die primäre Frage ist die nach einem möglichen Nutzen, sprich Hilfestellung zur Leistungsverbesserung. Wie schon besprochen, trifft dies sicherlich nur auf wenige Sportarten zu (s.o.). Niemand soll sich einen Kreatinmangel einreden lassen (wie es auch bei Carnitin oder, ganz aktuell, bei Coenzym Q10 versucht wird). Denn körpereigene Substanzen werden vom gesunden Organismus immer bedarfsgerecht produziert und unterliegen Rückkopplungsmechanismen. Auf die potentiell nachteilige Auswirkung bei Dauereinnahme wurde bereits eingegangen. Noch hat die wissenschaftliche Forschung über orale Kreatinsupplementierung nicht der Weisheit letzten Schluß erreicht und viele Erkenntnisse beruhen nur auf empirischen und subjektiven Erfahrungen.
Eines steht fest: Ein "Wundermittel" ist Kreatin sicherlich nicht. Es kann Training weder
ersetzen noch erleichtern, im Gegenteil, damit kann und muß intensiver trainiert werden, um
den gewünschten Effekt zu erzielen. Die Sinnhaftigkeit seiner Anwendung hängt von der
Sportart und Zielsetzung ab, die Wirksamkeit ist individuell. Letztlich muss der Sportler selbst damit Erfahrung sammeln und entscheiden, ob die Kreatinsupplementierung ihm einen
entscheidenden Nutzen bringt.
LITERATUR (Auszug) :
1.HARRIS et al, Department of Clinical Chemistry II, Karolinska Institut, Huddinge
University Hospital, Sweden: Clinical Science 1992, 83: 367-374.
2.GREENHAFF et al, Queens Medical Center, Department of Physiology and
Pharmacology,
University Medical School, Nottingham, U.K.: Am. J. Physiology 1994, 266: E 725-730.
(Kooperation der Arbeitsgruppe Nottingham mit dem Karolinska Institut in Huddinge)
3.GREENHAFF et al, Clin. Science 1993, 84: 565-571
4.BALSOM et al, Department of Physiology III, Karolinska Institut, Stockholm: Scand. J.
Med. Sci. Sports 1993, 3: 143-149
5.WALLIMANN et al, Institut für Zellbiologie, Swiss Federal Insitute of Technology,
ETH Hönggerberg, Zürich: Biochem. J. 1992, 281: 21-40, Biochimica et Biophysica
Acta 1992, 1102: 119-166
6.WILLIAMS MH, BRANCH JD, Department of Exercise Science, Physical Education,
and Recreation, Old Dominion University, Norfolk, Virginia, USA: J Am Coll Nutr 1998,
17(3): 216-234
7.GUERRERO-ONTIVEROS ML, WALLIMANN T, ETH Hönggerberg, Zürich: Mol Cell
Biochem
1998, 184(1-2): 427-437
8.MAGANARIS CN, MAUGHAN GJ, University Medical School, Univ of Aberdeen,
Foresterhill, UK: Acta Physiol Scand 1998; 163(3): 279-287
9.AASERUD et al, Inst of Sport and Physical Education, Agder College, Kristiansand,
Norwegen: Scand J Med Sci Sports 1998, 8(5Pt1): 247-251
10.VANDEBUERIE et al, Faculty of Physical Education and Physiotherapy, Department of
Kinesiology, Katholieke Universiteit Leuven, Belgien: Int J Sports Med 1998, 19(7):
490-495
11.VANDENBERGHE et al (wie 10.): Med Sci Sports Exerc 1999, 31(2): 236-242
12.VOLEK et al, Department of Kinesiology/Center for Sports Medicine, The Pennsylvania
State University, University Park 16802, USA: Med Sci Sports Exerc 1999, 31(8):
1147-1156
13.KRAEMER WJ, VOLEK JS, Department of Physical Education, Biology, Physiology,
and Health Science, Ball State University, Munice, Indianapolis, Indiana, USA: Clin
Sports Med 1999, 18(3): 651-666