Re: Warum Grundübungen?
Beitragvon zippel aka lupus » 19 Sep 2010 21:02
Einen schönen Abend,
habe hier jetzt nur kurz reingelesen, aber so wie es aussieht sind noch nicht viele Argumente gekommen. Aber die gibt es und zwar sehr viele. Leider arbeite ich gerade und habe nicht viel Zeit, hier im Moment ausführlicher zu werden - das habe ich aber bereits im entsprechende Kapitel: Sei holistisch in meinem Buch auf 24 Seiten getan.
Nur mal ein paar Beispiele:
1. Auch, wenn Dir das Thema 'Funktionelle Kraft' auf Anhieb für Hypertrophie nicht wichtig erscheint, so steckt dennoch eine Menge Bedeutung darin. Ein Muskel wird immer nur in dem Bewegungsprogramm gestärkt, in dem er auch trainiert wird. Soll heißen, dass z.B. die Kraft, die man mühsam im Beinstrecker trainiert, im normalen Leben oder auch beim Beugen und Heben kaum übertragen werden kann.
Nur wer hingegen nicht Muskeln an sich trainiert, sondern Bewegungen, wird auch funktionelle Kraft aufbauen und mit dieser schwere Grundübungen trainieren können.
Und hier kommt jetzt der Bezug zur Hypertrophie:
2. Der Effekt der Hyperirradiation. Dieser besagt, dass ein Muskel umso stärker kontrahieren wird, je mehr seiner umliegenden Muskeln an der gleichen Bewegung beteiligt sind. Die Summe der Kraft, der in einer Bewegung beteiligten Muskulatur ist somit größer, als die Summe der Kraft all dieser Muskeln bei isolierten Bewegungen. Sie addiert sich nicht, sie potenziert sich.
Probier es ruhig einmal aus, das ist nichts anderes, als die Sache mit der guten alten Körperspannung. Jeder, der einarmige Liegestütz oder Pistols macht, kennt das, aber machen wir kurz einmal den Praxis-Test.
Kontrahier mal bitte kurz Deinen rechten Unterarm, indem Du eine Faust machst, während der REst des Körpers entspannt bleibt.
So, nun kontrahiere zusätzlich nacheinander erst den gesamten Arm, dann die Brust, dann den Bauch, dann den Glut, dann den linken Arm und zur Krönung die linke Faust. Auf diese Weise wird sich die Kontraktionskraft Deines rechten Unterarmes brachial steigern lassen.
Die Muskeln pushen sich so gegenseitig hoch und können auf diese Weise bedeutend mehr Kraft freisetzen (obwohl dies immer noch nur ein geringer Bruchteil des Gesamtpotentials ist) und auf diese Weise im Verbund bedeutend mehr Gewicht bewegen. Dadurch wird der Trainingseffekt signifikant erhöht.
Wer auf juice ist, wird keine Kraftprobleme haben und deswegen mit Isos auch gut aufbauen können, aber gerade für viele Naturals ist jedes einzelne kg mehr auf der Hantel oft hart erkämpft und für weiteres Wachstum sehr wichtig.
Weitere Gründe im Schnelldurchlauf:
3. Symmetrischere Entwicklung: Durch die schwerpunktmäßige hirnlose Verwendung von Isos kann man sich ne Menge Dysbalancen, Asymmetrien und Proportionsmängel einhandeln.
4. Die tieferliegende Muskulatur wird vernachlässigt: Für die über 600 Muskeln in unserem Körper kann man nicht einzelne Iso-Übungen ausführen. Oft werden nur die oberflächlichen, sichtbaren Muskeln trainiert, aber die tieferliegende, stabilisierende Muskulatur, die auch zur Formgebung beiträgt, wie z.B. die autochthone Rückenmuskulatur oder der kleine Gluteus usw usf. werden hier vernachlässigt. Das kann nicht nur zu ästhetischen Mangelerscheinungen führen, sondern auch zu wirklich schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen - hier scheint man zwar stark und belastbar zu sein, für mehr als die Bühne reicht es jedoch nicht. Eine Kette ist schließlich immer nur so stark, wie ihr schwächstes Glied.
5. Der passive Bewegungsapparat: Dieser wird erst bei ausreichend hohen Reizen auf das beteiligte (Gesamt-)System mittrainiert, die bei den meisten Iso-Übungen nicht gegeben sind. Hier kommt es so zu einer Dysbalance zwischen aktivem und passivem Apparat. Ein Muskel ist aber nicht einfach nur so stark, wie ein Muskel. Ein Muskel ist nur so stark, wie die Sehne, die ihn in seinem Fundament (dem Knochen) verankert.
Das Ergebnis ist oft bei denjenigen zu sehen, die hauptsächlich schwer mit Isos trainieren, aber nur selten mit Mehrgelenksübungen: Die Sehnen reißen irgendwann oder es kommt zumindest zu Entzündungen und Anrissen.
Wer dabei vollkommen auf Mehrgelenksübungen verzichtet, wird hier auch einfach nur dünn und schwach bleiben. Wenn der passive Bewegungsapparat nämlich schwach bleibt, setzt der nächste Punkt ein:
6. Das Warnsystem des Muskelapparates (Muskelrezeptoren), wie z.B. das Golgi-Sehnenorgan, beachtet den Spannungszustand in all unseren Muskeln und hemmt alle Spannungen, die über die Leistungsfähigkeit des schwächsten beteiligten Teils hinausgehen würde. Wenn die Sehnen nun z.B. schwach sind, da sie nicht ausreichend belastet wurden, wird man bei Iso-Übungen nie ausreichen hohe Gewichte bewegen können, um damit (natural) überdurchschnittliche Masse aufbauen zu können, weil die Muskelarbeit einfach schlichtweg vorher gehemmt und somit gar nicht entfaltet werden kann.
Es gibt da noch eine Menge anderer Punkte, wie z.B. der größere Hormonausstoß, der einfach nur mit der Größe und Anzahl der beteiligten Muskeln korreliert usw. usf. aber leider muss ich wieder an die Arbeit.
Nur ein kurzes Zwischenfazit, einen wirklich starken und langfristig gesunden und leistungsfähigen Körper - und dieser ist die Grundlage für einen sauberen muskulösen Körper - wird man nur mit schweren Mehrgelenksübungen aufbauen können.
Wer hier nur an den einzelnen Muskel denkt, der denkt auch nur von 12 bis Mittag. Der Körper mit all seinen Muskelrzeptoren, Sehnen, Bändern, Knochen, Gelenken, Muskeln, Energie- und Hormonsystemen, neuromuskulären Komponenten usw. muss als Gesamtsystem (Holistisch) trainiert werden.
Das ist die einzige Möglichkeit, um die Leistungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit einer umfassenden Kraftmaschine mit der Ästhetik einer umfassend aufgebauten und symmetrischen Körpererscheinung paaren zu können.
Alles andere ist oberflächliche Augenwischerei, die sich einzig und allein nur mit der Fassade des Körpers beschäftigt, das Fundament jedoch vernachlässigt.
So und jetzt muss ich weiter... ich hoffe, die paar Gedanken können erstmal ein wenig weiterhelfen...
PS.: Isoübungen sind gut um an Verletzungen 'vorbeizutrainieren' und um Schwachstellen auszugleichen, um jedoch ein starkes, solides und ausgeglichenes Muskelfundament aufbauen zu können, sind sie nicht anzuraten und so gut wie niemand von uns hat solch ein Fundament.
Stärke und Masse lassen sich nun einmal nicht voneinander trennen - insbesondere für Naturals.