Dehnen, Hypertrophie und Diskussionsstil
Liebe Leute,
bevor ihr mir jetzt auch noch virtuelle Tomaten an den Kopf werfen wollt, will ich mich zunächst kurz vorstellen. Ich heiße Thomas Markmann und begleite das Portal Fitness.com gewissermaßen seit Beginn an redaktionell. Ich versuche also, die Hand über das zu halten, was an Beiträgen hier veröffentlicht wird. Das Forum ist die Ausnahme. Da wird diskutiert und ich halte mich völlig raus.
Dennoch fällt mir auf, dass die Diskussionsplattform immer wieder zum virtuellen Schlachtfeld gemacht wird. Das ist schon ok so, aber genau so wie im Ring möchte ich darum bitten, die Regeln einzuhalten.
Zum besagten Thread: Erfreulich ist, das wir hier auf einem inhaltlichen Niveau diskutieren, auf dem sicher der ein oder andere Experte schon ausgestiegen ist. Weniger erfreulich ist die Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird. Dabei fallen mir zwei Dinge auf:
1) Kurt hat ein enormes sportmedizinisches und sportwissenschaftliches Wissen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass er selber wissenschaftlich gearbeitet hat und zum anderen damit, dass er sich permanent mit diesen Themen beschäftigt. Ich gehe davon aus, dass er mehr papers und Beiträge liest als jeder andere von uns. Daher bin ich froh, dass wir ihn als Diskussionspartner in unserer Runde haben, denn dann können wir alle profitieren.
2) Kurt drückt sich in Postings sehr direkt und mitunter undiplomatisch aus, was er selbst auch weiß und einräumt. Das führt nicht selten dazu, dass er auf Außenstehende arrogant, besserwisserisch und überheblich wirkt. Wer Kurt persönlich kennt, weiß, dass er das beim besten Willen gar nicht ist, sondern das genaue Gegenteil davon. Rainer, Klaus und die anderen stimmen mir da sicher zu.
Wie dem auch sei, es scheint einen besonderen Reiz auszumachen, gegen Kurt in einer Diskussion zu "gewinnen". Das ist wie im Fußball. Der FC Bayern spielt zweifelsohne den besten Fußball in Deutschland, wirkt dadurch aber arrogant und alle anderen Mannschaften geben 150%, um gegen sie zu punkten.
Dabei wird schon mal die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen gesucht. Das geht für mich aus dieser Diskussion genau so hervor. Fasse ich noch mal zusammen:
Beweglichkeit ist eine der motorischen Beanspruchungsformen. Durch Dehnen (nach welcher Methode auch immer) trainiere ich diese Beanspruchungsform. Dehnen ist also ein wichtiger Bestandteil unseres Trainings, nämlich um die Beweglichkeit, die sog. Range of Motion, sportartspezifisch zu optimieren bzw. langfristig zu erhalten. Im Gesundheits-, Freizeit- und in den beweglichkeitsdeterminierten Leistungssportbereichen gibt es dazu also keine Alternative.
Nun wurden aber dem Dehnen noch andere positive Eigenschaften unterstellt, als da wären
1) Verletzungsprophylaxe
2) Verhinderung und Ausgleich von Verkürzungen
3) Erhöht sportliche Leistungen
4) Muskeln schlanker machen
zu 1) Dies konnte nicht gezeigt werden. Keine methodisch einwandfreie Untersuchung belegt dies eindeutig. Im Gegenteil: Unmittelbar nach langen statischen Dehnungsprozeduren geht kurzfristig die Gelenkstiffness zurück, was eher noch ein höheres Verletzungspotential bewirken könnte.
Zu 2) Wie Kurt schrieb, betrachtet man Verkürzungen funktionell und nicht strukturell. Dehnen verlängert den Muskel beim Menschen nicht langfristig, sondern macht ihn gewissermaßen weniger empfindlich gegen Dehnreize. Recherchiert dazu bitte die vielen Arbeiten von Wiemann et al. und schaut dort in die Referenzen. Es ergibt sich ein unglaublicher Pool an einschlägigen Quellen.
Zu 3) Das kann nach Klee auch verneint werden. Ausnahme sind hier die beweglichkeitsdeterminierten Sportarten, etwa Kampfsport, Kunstturnen oder Hürdenlauf. Beachtet werden sollte ab auch hier, dass statischen Dehnen durch das sog. Creeping-Phänomen Schnellkraftleistungen negativ beeinflusst. Schaut mal
http://www.philippka.de/zeitschriften/lsp/probe/Aufwaermen.pdfhier</a> nach
Zu 4) Da wird’s jetzt brenzlig, denn an diesem Punkt habt ihr am schärfsten diskutiert. Natürlich dehnen wir unseren Skelettmuskel nicht schlank, das ist uns doch allen klar. Dafür finden wir nicht einen übertragbaren trainingswissenschaftlichen Beleg. Jetzt ging´s aber doch drum, dem Kurt das Wort im Munde herumzudrehen. Es gibt in der Tat Studien, die zeigen, dass sich bei denervierten anästhesierten Katzen nach wochenlanger statischer Dauerdehnung eine Zunahme der Sarkomeranzahl in Längsrichtung gezeigt hat. Die genaue Quelle weiß ich nicht auswendig, da größte Teile meiner Bibliothek schon wieder in Umzugskisten verschwunden sind. Ich schaus aber gerne nach, falls Interesse besteht. Für die Praxis und in der Übertragbarkeit auf den Menschen ist diese Erkenntnis aber uninteressant.
Vielmehr ist es so, dass wir vermuten, dass Längszug an den Z-Streifen der Sarkomere einer der auslösenden Reize zur Skelettmuskelhypertrophie sind. Es wäre also naheliegender, auf eine Dauerdehnung mit Hypertrophie als mit Längenzunahme zu reagieren. Genau das und nur das wollte Kurt zu bedenken geben. Kurt hat das nirgends als gesichert behauptet und schreibt daher auch "kann (im Sinne von könnte Anm. von mir) zur Hypertrophie führen". Ich finde es nicht fair, in diesen Satz eine so nicht gemeinte Aussage hinein zu interpretieren, wenn wir doch alle genau wissen wie es gemeint war. Dazu kommt übrigens, dass es neben der Spannungs-Reiz-Hypothese noch andere Hypothesen zur Entstehung der Hypertrophie gibt. Metabolische Faktoren spielen dabei auch eine Rolle. Es ist daher auch in Zukunft nicht zu erwarten, dass wir uns stark stretchen werden.
Ich hoffe, ich konnte nun die Gemüter beruhigen. Inhaltlich diskutiere ich gerne mit. Wer jetzt meint, mich auch noch virtuell beschimpfen zu müssen, weil ich seine Ansicht nicht teile, dem sei gesagt, dass es mir schlicht und ergreifend sch... egal ist. Dazu bin ich schon lange genug in Foren aktiv.
Wer inhaltliche Fragen und Anregungen bringt, wird auch eine Antwort erhalten.
So viel von mir. Machts gut, einen schönen Sonntag wünscht euch
euer Thomas
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