Freie Radikale beim Training: Warum sie helfen, wann sie schaden – und wie Antioxidantien dich schützen

Freie Radikale beim Training: Warum sie helfen, wann sie schaden – und wie Antioxidantien dich schützen

Roman Biernacki / Andrea Piacquadio / Pexels

Wer heute joggt, Kreuzheben macht oder mit High-Intensity-Training, HIT seine Fitness pusht, geht davon aus, seinem Körper etwas Gutes zu tun. Und das stimmt – meistens. Denn während Bewegung für Herz, Muskeln und Hirn ein Booster ist, passiert im Zellinneren etwas viel Komplexeres. Dort entstehen bei jeder sportlichen Aktivität freie Radikale. Diese Moleküle sind nicht einfach nur schädlich. Im Gegenteil: Sie sind lebenswichtig. Doch wer sie ignoriert, riskiert oxidativen Stress, vorzeitige Zellalterung und im schlimmsten Fall chronische Erkrankungen. Wer seine Leistungsfähigkeit langfristig erhalten will, sollte also nicht nur Gewichte stemmen – sondern auch verstehen, was im Zellkern dabei passiert.

Was sind freie Radikale – und warum entstehen sie beim Sport?

Freie Radikale sind instabile Moleküle, denen ein Elektron fehlt. Diese Unvollständigkeit macht sie extrem reaktiv – sie entreißen anderen Molekülen Elektronen und lösen damit Kettenreaktionen aus, die Zellwände, DNA und Enzyme schädigen können. Während eines intensiven Workouts steigt der Sauerstoffverbrauch des Körpers um das bis zu 20-Fache. Diese Sauerstoffflut in den Mitochondrien führt zwangsläufig zur Bildung sogenannter reaktiver Sauerstoffspezies (ROS), also freier Radikale. Besonders in Ausdauerbelastungen und Kraftsport mit hoher Intensität explodiert die ROS-Produktion regelrecht. Das ist kein Fehler – sondern eine notwendige Reaktion auf den erhöhten Energiebedarf.

Wie unterscheiden sich Ausdauer- und Krafttraining bei der ROS-Produktion?

Beim Ausdauertraining läuft der Energiestoffwechsel überwiegend aerob ab – also mit Sauerstoff. Die Mitochondrien feuern im Dauerbetrieb und generieren dabei konstant ROS. Diese belasten nicht nur Muskelzellen, sondern auch das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem und die Lunge. Beim Krafttraining hingegen steht die anaerobe Energiegewinnung im Vordergrund: kurze, intensive Belastung, bei der Milchsäure, Wasserstoffionen und Entzündungsmediatoren freigesetzt werden. Das wiederum begünstigt oxidative Prozesse im Gewebe. Interessanterweise findet die höchste ROS-Produktion nicht während, sondern in den Stunden nach dem Training statt – im Reparaturmodus der Muskulatur. Besonders in dieser Phase entscheidet sich, ob das Immunsystem gestärkt wird – oder ob der Körper im oxidativen Chaos stecken bleibt.


Freie Radikale sind keine Feinde – wenn man sie versteht

So paradox es klingt: Ohne freie Radikale gäbe es keinen Trainingsfortschritt. Sie sind Signalgeber, die das Immunsystem aktivieren, Entzündungsprozesse einleiten und die Produktion körpereigener Antioxidantien anstoßen. Dieser Prozess – in der Biologie als Hormesis bekannt – sorgt dafür, dass Zellen widerstandsfähiger, effizienter und langfristig gesünder werden. Studien zeigen, dass ein moderater Anstieg von ROS nach dem Training die Bildung von Mitochondrien, die antioxidative Kapazität und sogar die kognitive Leistung verbessern kann1. Das Problem entsteht nur, wenn die Dosis zu hoch ist oder wenn der Körper nicht in der Lage ist, die Radikale wieder einzufangen. Dann wird aus dem Signal ein Angriff – und aus Training wird Zerstörung.

Antioxidantien – Retter oder Spielverderber?

Antioxidantien sind Moleküle, die freie Radikale neutralisieren können, ohne dabei selbst zu instabil zu werden. Der Körper stellt einige davon selbst her – z. B. Glutathion, Superoxiddismutase oder Katalase. Andere müssen über die Ernährung zugeführt werden, etwa Vitamin C, Vitamin E, Zink, Selen oder Polyphenole aus Beeren, Kakao und grünem Tee. Doch Vorsicht: Wer direkt nach dem Training hochdosierte Antioxidantien einnimmt – etwa durch Supplements – kann die gewünschten Effekte der ROS blockieren. Studien zeigen, dass die übermäßige Einnahme von Antioxidantien die Trainingsadaption hemmt2. Besser ist es, antioxidative Lebensmittel über den Tag verteilt zu konsumieren und dem Körper Zeit zur Regeneration zu geben. Denn Antioxidantien wirken nicht wie ein Feuerlöscher – sondern eher wie ein Gärtner, der gezielt dort eingreift, wo es nötig ist.

Training, Ernährung, Regeneration – das oxidative Dreieck

Wer das Maximum aus seinem Training herausholen will, sollte nicht nur auf Gewichte, Wiederholungen und Pace achten, sondern auch auf die Balance im Zellstoffwechsel. Das bedeutet: Vielseitige Ernährung mit natürlichen Antioxidantien, ausreichend Schlaf, aktive Regeneration und gezielte Trainingsplanung. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2024 bestätigt, dass Sportler mit ausgewogener Polyphenolaufnahme (z. B. aus Heidelbeeren, Granatapfel oder Curcumin) signifikant weniger oxidative Zellschäden zeigen – bei gleichzeitig besseren Leistungsparametern3. Der Schlüssel ist also nicht, ROS zu bekämpfen – sondern sie zu kontrollieren.

Training macht nur dann gesund, wenn du deine Zellen mittrainierst

Freie Radikale sind kein Feind, den man mit Nahrungsergänzungsmitteln bekämpfen muss. Sie sind ein Teil des Trainingsreizes – genauso wie Muskelbrennen oder Schweiß. Wer sie versteht, kann sie nutzen. Wer sie ignoriert, riskiert Burnout, Entzündung und Leistungsknick. Mit einer Ernährung, die reich an natürlichen Antioxidantien ist, mit cleverer Trainingsplanung und ausreichendem Schlaf, wird aus dem oxidativen Risiko ein regenerativer Vorteil. Die Wissenschaft ist sich einig: Es geht nicht darum, weniger zu trainieren – sondern klüger. Und das beginnt in der Zelle.


1 Gomez-Cabrera MC et al. (2020): Exercise-induced oxidative stress and adaptations. Journal of Physiology.
2 Paulsen G et al. (2022): Vitamin C and E supplementation impairs muscle adaptation to strength training. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports.
3 Li H et al. (2024): Dietary polyphenols reduce oxidative stress and improve endurance performance in athletes. Nutrients.

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