Cannabis, Muskelaufbau und Rückfall – warum „nur ein Joint“ dein Training sabotiert

Steuermann
Fitness Expert
Cannabis, Muskelaufbau und Rückfall – warum „nur ein Joint“ dein Training sabotiert

Cannabis hat in Deutschland längst den Weg aus der Schmuddelecke in den Alltag gefunden: nach der Arbeit „runterkommen“, am Wochenende „abschalten“, im Urlaub „ein bisschen entspannen“. Wer viel trainiert, glaubt oft, das gehe schon irgendwie zusammen – Muskeln aufbauen, clean essen, hart arbeiten, und abends eben „nur ein Joint“.

Genau an dieser Stelle fängt das Problem an: nicht beim Einzelfall, sondern bei der inneren Story, die du dir erzählst. Dieser Artikel richtet sich an dich als Sportler oder Sportlerin, der oder die merkt: Da ist mehr als „nur ein Zug“. Da sind Leistungsziele, die nicht mehr erreicht werden. Da ist ein Körper, der eigentlich mehr könnte – wenn der Kopf nicht dauernd auf Nebel gestellt wäre.

Zwischen Leistungsanspruch und „Chill mal“ – warum die Kombi so gefährlich ist

Training bedeutet: dein Nervensystem lernt, unter kontrolliertem Stress besser zu funktionieren. Du forderst deinen Körper, du stärkst Willenskraft, Fokus, Belastbarkeit. Cannabis macht fast das Gegenteil: es verschiebt Reize, dämpft Emotionen, weichzeichnet Kanten. Kurzfristig kann sich das angenehm anfühlen, gerade wenn du viel Druck im Alltag hast oder aus einem Umfeld kommst, in dem Gefühle wenig Platz haben und „Stärke“ bedeutet, nichts an sich ranzulassen.

Genau dann fühlt sich der Joint wie ein Freund an: er macht leiser, was innerlich schreit. Für dein Training ist das fatal. Der Körper merkt sich, dass Anstrengung mit Flucht gekoppelt ist:

• anstrengender Tag – Joint.

• anstrengendes Training – Joint.

• Konflikt – Joint.

Irgendwann gehört nicht mehr das Workout, sondern der Rausch zum System „Ich komme klar“.

Was Cannabis mit deinem Körper macht – mehr als nur „ein bisschen müde“

Physiologisch ist Cannabis kein harmloser Chill-Knopf. Regelmäßiger Konsum beeinflusst Schlafarchitektur, Testosteronspiegel, Appetitregulation und Reaktionszeit. Für dich als Sportler bedeutet das: Du schläfst vielleicht länger, aber schlechter, weil die Tiefe des Schlafes und die REM-Phasen durcheinander geraten. Genau dort passieren Regeneration, Hormonregulation und Gedächtnisbildung – also all das, was du brauchst, um Muskelaufbau, Technik und Bewegungsmuster zu festigen.

Dazu kommt: Munchies! Viele erleben unter Cannabis Heißhunger auf Süßes oder fettiges Essen. Wenn du ohnehin um jedes Gramm Körperfett kämpfst oder versuchst, sauber aufzubauen, sabotierst du dich im Halbschlaf selbst. Und ja, es gibt Studien, die zeigen, dass chronischer Konsum Testosteron und Spermienqualität beeinflussen kann.

Muss nicht dramatisch sein, kann es aber – und wer hart für seine Form arbeitet, sollte sich zweimal überlegen, ob er seinen Hormonhaushalt freiwillig aufs Spiel setzt.

Männlichkeitskult, Kumpel-Druck und die Illusion von Kontrolle

Besonders heikel wird es, wenn Cannabis mit einem harten Männlichkeitsbild zusammenprallt: „Ich bin stark, ich hab alles im Griff, mich wirft nichts um.“ In vielen Cliquen, in manchen migrantischen Milieus, aber auch im klassischen Studio-„Bro“-Umfeld gilt: Gefühle zeigen ist schwach, klarkommen ist Pflicht. Kiffen wird dann zur stillen Selbstmedikation, ohne dass man das Wort überhaupt in den Mund nimmt.

• Du bist müde? Joint.

• Das Leben ist kompliziert? Joint.

• Die Erwartungen der Familie drücken? Joint.

Und gleichzeitig erzählst du dir: „Ich könnte jederzeit aufhören, wenn ich wollte.“ Der Haken: je länger das läuft, desto mehr ist der Joint Teil deiner Identität – so wie dein Training. Dann wird nicht mehr hinterfragt, ob das zusammenpasst, sondern du baust eine innere Geschichte darum: „Sport gleicht Cannabis aus“ oder „Lieber Gras als Alkohol“.

Das klingt vernünftig, ist aber Selbsttäuschung. Du trainierst dann nicht mehr frei, sondern als jemand, der jedes System auf Kante fährt – Muskeln, Nerven, Beziehungen.

Missbrauch beginnt selten spektakulär – er beginnt schleichend

Viele warten viel zu lange mit der Erkenntnis, dass sie ein Problem haben, weil sie auf das Bild vom „kaputten Junkie“ im Kopf starren. Solange du noch arbeiten gehst, ins Gym fährst und dein Umfeld nicht total eskaliert, erzählst du dir: „So schlimm ist es nicht.“ Für Sportler gilt jedoch eine andere Skala. Du musst nicht alles verlieren, um zu merken, dass Cannabis dich ausbremst.

Frag dich ehrlich:

• Verschiebst du Workouts, weil du müde vom Kiffen bist?

• Sagst du Treffen mit deinen besten Freunden ab

• oder sogar nicht ab, weil du sie vergessen hast?

• oder nimmst  geschäftliche Termine nicht wahr,

• zeigst du organisatorische Schwächen,

alles,  ...  weil du nicht aus deinem Kopfnebel rauskommst?

Merkst du, dass du zwar im Fitness-Studio bist, aber ohne echten Biss trainierst – alles eher routiniert abspulst, anstatt Grenzen zu verschieben? Spätestens dann ist es kein „Genuss“ mehr, sondern Missbrauch im Training: Du schadest deiner Leistungsfähigkeit, deiner Disziplin und deiner Fähigkeit, an einem Ziel dranzubleiben.

Funktionaler Kontrollverlust

Hier geht es darum, dass du eigentlich genau weißt, was du tun solltest – Training, Termine, Verpflichtungen – du schaffst es aber nicht mehr zuverlässig. Nicht, weil du nicht willst, sondern weil dein innerer Antrieb durch den Cannabisnebel gedämpft ist. Du verschiebst Workouts, weil du müde bist. Du bist unorganisiert, vergisst Dinge, die du sonst nie vergessen würdest. Dein Alltag verliert Struktur.

Sozialer Kontrollverlust

Das ist der Punkt, an dem dein Umfeld merkt, dass etwas nicht stimmt: Du sagst Treffen ab, ohne es zu planen. Du meldest dich nicht, obwohl du es versprochen hast. Du verletzt Menschen nicht aus Absicht – sondern weil du nicht mehr präsent (!) bist. Beziehungen beginnen zu bröckeln, weil du nicht mehr zuverlässig fühlst, denkst oder handelst.

Der Moment, in dem du ehrlich wirst – und warum genau der so weh tut

Der schwierigste Teil ist nicht das Weglassen, sondern das Eingeständnis: „Ich brauche das mehr, als ich dachte.“ Wenn du aus einem Umfeld kommst, in dem Stärke alles ist, fühlt sich dieses Eingeständnis wie Verrat an deiner Rolle an.  Vielleicht Freunde, die lieber Witze machen, als über Angst oder Einsamkeit zu reden.

Wenn du dann plötzlich merkst, wie sehr du dich selbst betäubst, bricht etwas auf, das du jahrelang hart verschlossen gehalten hast. Genau deshalb ist es so schwer, diesen Punkt ohne Rückfall zu überstehen. Der Joint macht diese Tür wieder zu. Aber eben nur scheinbar. Innen bleibt alles gleich – nur du verschiebst das Gespräch mit dir selbst auf später.

Rückfall gehört zur Geschichte – aber nicht zu deiner Identität

Die wenigsten schaffen es, von heute auf morgen durchzuziehen und nie wieder rückfällig zu werden. Das gilt für Nikotin, Alkohol – und ganz besonders für Cannabis, wenn es emotional mit deinem Leben verknüpft ist. Ein Rückfall bedeutet nicht, dass du versagt hast. Aber er zeigt dir brutal ehrlich, wo du stehst. Er zeigt dir, wie stark bestimmte Situationen, Menschen oder Gefühle mit dem Griff zum Joint verknüpft sind.

Der gefährliche Satz lautet: „Na ja, dann ist es jetzt auch egal.“ Genau da musst du gegensteuern. Rückfall ist ein Ereignis, nicht deine Persönlichkeit. Rückfall heißt: du bist überfordert, nicht wertlos. Die Frage ist nicht „Bin ich schwach?“, sondern: „Was hat mich so getriggert, dass ich wieder zu dieser alten Antwort gegriffen habe?“ Wer das zuende denkt, hat eine echte Chance, beim nächsten Mal anders zu reagieren.

Wie du als Sportler konkret aus der Cannabis-Schleife aussteigst

Praktisch braucht ein Ausstieg denselben Respekt wie ein harter Trainingszyklus.

• Erstens: Du musst die Wahrheit über deinen Konsum kennen. Schreib dir ein bis zwei Wochen ehrlich auf, wann du kiffst, warum und wie du dich vorher und danach fühlst.

• Zweitens: Setz dir ein klares Ziel – kein nebulöses „weniger“, sondern „30 Tage ohne“, „kein Joint vor dem Training“, „kein Joint an Werktagen“.

• Drittens: Erzähl mindestens einem Menschen davon, der dich ernst nimmt – nicht jemand, der verharmlost oder sich darüber lustig macht. Das kann ein Freund, eine Therapeutin, ein Coach oder eine Selbsthilfegruppe sein.

• Viertens: Füll die Lücke bewusst. Wenn Cannabis bisher dein Ventil war, brauchst du andere Ventile: harte Workouts sind gut, aber nicht genug. Dazu gehören Schlafhygiene, ehrliche Gespräche, eventuell Therapie, ruhige Bewegungsformen wie Spazierengehen oder Mobility, bei denen dein Kopf runterfahren kann, ohne betäubt zu werden.

Wenn Rückfall passiert: Umgang wie mit einem Verletzungsrückschlag

Sportlich kennst du das Prinzip: Du bist gut im Training, dann kommt eine Verletzung oder Krankheit, alles rutscht nach hinten. Ein kluger Athlet sagt dann nicht: „Na ja, dann trainiere ich nie wieder“, sondern: „Okay, ich passe den Plan an, starte wieder bei 70 % und baue neu auf.“

Genauso sollte dein Umgang mit einem Cannabis-Rückfall sein. Kein Drama-Post, keine Selbstzerstörung, sondern nüchternes Hinsehen: Was hat mich so getriggert? War es Stress, Einsamkeit, Liebeskummer, Konflikt mit der Familie, Druck im Job? Und was könnte ich beim nächsten Mal tun, bevor ich zum Joint greife?

Vielleicht jemanden anrufen, rausgehen, trainieren, schreiben, Musik machen. Es geht nicht darum, perfekt zu werden, sondern handlungsfähig zu bleiben. Rückfall ist nur wirklich gefährlich, wenn du daraus eine Ausrede baust, alles wieder laufen zu lassen.

Warum echte Stärke anders aussieht, als dein Umfeld es dir beigebracht hat

Sport hat immer etwas mit Identität zu tun: Du definierst dich über Leistung, Disziplin, Durchhaltevermögen. In vielen männlich geprägten Umfeldern kommt noch dazu: Härte, Kontrolle, keine Schwäche zeigen. Cannabis passt scheinbar gut dazu, weil es Gefühle dämpft, ohne dich aus der Bahn zu werfen – glaubst du. In Wahrheit frisst es genau die Eigenschaften an, auf die du stolz bist: deine Fähigkeit, präsent zu sein, zu planen, zu führen, verlässlich zu sein.

Echte Stärke sieht anders aus: Sie kann sagen „Ich habe ein Problem.“ Sie kann sich Hilfe holen, ohne sich dafür zu schämen. Sie kann Grenzen setzen – auch gegenüber Freunden, Familie oder der eigenen Kultur. Und sie kann sagen: „Ich will ein Leben, in dem ich wach bin, wenn gute Dinge passieren.“ Muskelmasse beeindruckt, klar.

Aber innere Klarheit beeindruckt dauerhaft – und sie trägt dich durch Beziehungen, Krisen und Entscheidungen, bei denen du sonst wieder zur Flasche, zum Joint oder zur Flucht greifen würdest.

Ein Leben nach dem Nebel – was du gewinnen kannst, wenn du aufhörst

Der vielleicht wichtigste Punkt zum Schluss: Du hörst nicht auf zu kiffen, um anderen etwas zu beweisen. Nicht deinen Eltern, nicht deinem Partner, nicht deinem Trainer. Du hörst auf, weil du irgendwann merkst, dass dein Leben im Halbschatten stattfindet – und dass du mehr willst: mehr Präsenz, mehr echte Nähe, mehr ehrliche Freude.

Viele berichten nach einigen Wochen ohne Cannabis, dass sie sich wieder an Träume erinnern, klarer denken, tiefer schlafen, plötzlich wieder Ziele vor Augen haben, die sie längst abgehakt glaubten. Das ist kein esoterischer Zauber, das ist Biologie plus Psychologie. Dein Gehirn bekommt die Chance, wieder ohne Filter zu arbeiten. Dein Nervensystem lernt, Stress anders zu regulieren. Und du lernst, dass Gefühle zwar manchmal unbequem sind, aber auch der Eintrittspreis für alles, was sich wirklich lebendig anfühlt – im Training und im Leben.


Quellen:
[1] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Cannabis – Zahlen & Fakten. Köln 2023. [2] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS). Jahrbuch Sucht 2024: Kapitel Cannabis. LWL-Verlag, Münster. [3] Robert Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Suchtsurvey 2021: Cannabisbezogene Störungen in Deutschland. [4] Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Bericht zur gesundheitlichen Lage bei Cannabis-Konsum. Berlin 2022. [5] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Evidenzbasierte Leitlinie „Cannabisbezogene Störungen“. 2021. [6] Deutsche Suchtforschung (Springer Medizin). Schwerpunktheft Cannabis und Psychische Gesundheit, 2020. [7] Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Patienteninformation Cannabis – Risiken und Abhängigkeit. 2023. [8] Universitätsklinikum Freiburg. Forschungsbericht „Kognitive Beeinträchtigungen durch regelmäßigen Cannabisgebrauch“, 2020. [9] Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studie „Cannabiskonsum und Exekutivfunktionen“. 2019. [10] Charité – Universitätsmedizin Berlin. Bericht „Cannabis, Motivation und dopaminerge Dysregulation“. 2021.

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