Will der Kunde Zufriedenheit durch "Wahrheit"?
Endlich stellt jemand eine Frage, auf die jeder eine Antwort hat. :winke:
Zugegeben, daß Problem ist vielschichtiger Natur. Recht besehen könnte man beide vertretbaren Extremposition als gültig betrachten: Einerseits die Aufklärung in Form der Dareichung der reinen physiologischen Lehre, oder andererseits trendlastige Patentrezepte ohne Aussicht auf nachhaltigen Erfolg.
Meiner Ansicht nach ist diese Kontroverse vom Standpunkt des „Mundus vult decipi“ zu sehen. Ein Fitness-Studio ist bei der hier überwiegend angetroffenen Spezies des unwissenden Konsumenten stets nur Mittel zum Zweck, und dieser Zweck heißt optimale Assistenz beim Angleichen an das Idealbild des wenigstens schlanken, und damit attraktiven Menschen, so wie er in den einschlägigen Publikationen vorgezeichnet wird. Sekundiert wird dieses Selbstbild der Fitness-Studios von diversen Fachorganen der Zunft, allen voran in Deutschland „Fit for fun“. Kritische Einwände, bessere Ergebnisse mit weniger – allen voran finanziellem – Aufwand etwa durch Eintritt in einen Sportverein, erreichen zu können, werden nicht einmal im Meinungsbild dieses Metiers berücksichtigt; sie fallen unter den Tisch.
Rational betrachtet stehen Fitness-Studios für maximalen Erfolg bei gezielt dosiertem Aufwand. Der Realitätsschock folgt auf den Fuß; laut Aussage eines Studio-Betreibers (FAZ-Rhein-Main dieser Tage) habe er bis zu 60% Schläfer in seiner Kundendatei: Karteileichen als Beitragszahler.
Aus dieser Melange der Sehnsüchte lassen sich mehrere Typen herauscharakterisieren: Den aufgeklärten Menschen, der um die Vor- und Nachteile der Fitness-Studios in bezug auf seine Physiognomie weiß; den von den Werbebotschaften Geblendeten; den Neugierigen und teils auch noch den Gezwungenen. Gruppe eins wird wohl kaum auf die Propaganda hereinfallen. Bezogen auf den in Frage kommenden Restanteil bleibt offen, inwiefern Wahrheit vonnöten ist.
Das Verhältnis von „Fit for fun“ zu „Fitness.com“ gleicht dem von BILD zu FAZ. Diese ist eitel, selbstgefällig und vereinfachend, während jene instruktiv und meinungsbildend sein will, also Hilfe zur Selbsthilfe zuvörderst leistet.
Aus dem eigenen Bekanntenkreis, der nahezu alle Bildungswege umfaßt, läßt sich folgende anthropologische Konstante ausmachen: Je weniger gebildet die Person ist, desto geringer auch der Bedarf an seitelangen - und vor allem nicht illustrierten! – Aufsätzen und Artikeln über Physiologie, die am Ende nur die Komplexität erhöhen, anstatt auf scheinbar einfache Fragen noch einfachere Antworten liefern zu können. Wenn Kurt für manche Menschen etwas kryptisch (für andere auch nur anspruchsvoll) in seiner Facharzt-Diktion über Fettabbau, Fettverbrennung, negative Energiebilanz, relative und absolute Anteile belehrt, dann scheitern daran 95% der Leser aufgrund des fehlenden Zugangs zu diesem elaborierten Sprachcode: Sprache als soziale Hürde. Um wieviel eingängiger sind da die Artikel in der besagten Postile, die neben dem Wort auch nicht müde wird, visuelle Rechenschaft über ihre Ansichten abzulegen, indem gewissermaßen die ganze Fülle an Hinweisen zum Sport aus dem Artikel fleischgewordene Schönheit in Form fröhlich dreinblickender und vor allem durchtrainierter Menschen geworden ist. So wird bewußt suggestiv gearbeitet. Man substituiere einmal die Schönheiten des Magazins mit durchschnittlichen Körpern oder gar fettleibigen, die erst noch die Tips befolgen müssen!
Auch für den Fall, daß man gegenüber den eigenen Bekannten versucht, die Ausführungen auf Fitness.com in einfachen Worten auszudrücken: Man scheitert. Ausgangspunkt bleiben die hier schon mehrfach angesprochenen und wiederkehrenden Mythen aus den Bereichen Ernährung und Sport gepaart mit kategorischem Mißtrauen gegenüber Fremdworten (gerne bemühte Floskel von Menschen, die dem Suffix garantiert unverdächtig sind: „pseudo-intellektuell“) aber auch dem Frontalangriff auf die eigenen „Wissens“-Basis. Wissenschaftstheoretisch nennt man das Dogmatismus. Häretiker und Dissidenten haben es hierbei schwer, Gehör zu finden.
Aber weshalb sollte man auch – nicht nur - auf Kurts Gelaber Wert legen, der da unter anderem sagt, selektive Fettzonenreduktion sei nicht möglich, und Fettabbau – nicht nur Abnahme von Körpergewicht – sei der springende Punkt und ausgerechnet dieser erfordere Zeit, nicht Tage, sondern Monate: Wie will man jemanden in Ansehung seiner Heilserwartung aufklären? Allenfalls desillusionieren könnte man diese Person, aber dann wendet er sich wider seinen Gott und sucht sich seinen nächsten Götzen – der Teufelskreis des Studio-Vagabundismus ist geschlossen. Außerdem liest sich auch die Einfachheit der „Fit for fun“ anspruchsloser, als wissenschaftliche Aufsätze.
Rhetorisch wird übrigens auch ständig aufgerüstet. Fortwährend wird man mit Neuem, also neuen Sportarten und Techniken konfrontiert, die angeblich auf neuesten Erkenntnissen von Experten beruhen. Und wo sind diese für gewöhnlich lokalisiert? Richtig, im Mutterland der Bewegung, in den USA. Das ist eine weitere Gesetzmäßigkeit des Marktes. Die Neuerungen aber, also die Verdrängung des Tradierten durch anderes, bedeuten aber nicht, daß das bisherige Programm falsch oder gar veraltet sei. Vielmehr sei das Neue nur besser oder wahlweise auch noch besser (Relativismus!). Eigentlich sollte man angesichts des „Noch mehr!“, „Noch schneller!“ an physikalische Grenzen stoßen und sich der Null annähern.
Die einstmals so schulsportgestreßten Bekannten bekommen feuchte Augen, wenn man das Gespräch aufs Spinning lenkt. Aber radfahren? Im Wald? Profanes Befahren eines Waldweges? Wie kann man nur! Ähnliches gilt fürs Seilspringen, daß jetzt irgendwie Roping – oder so – heißt. Prompt wünscht man sich zum Geburtstag exorbitant teure „Roping tools“, die äußerlich nicht unbedingt zu den häßlichsten gehören, aber kaum den hohen Preis in Form eines adäquaten Materialpreises rechtfertigen. Hätte man ein schlichtes Seil kredenzt: Man hätte den Beschenkten mit einer großen Kränkung bedacht.
Wie, abnehmen hat nur mittelbar etwas mit Gewichtsreduktion zu tun? Proteindrinks während des Trainings sollen nicht helfen? Weshalb werden sie dann überall verkauft? (Bei Luhmann nennt sich das Legitimation durch Verfahren) Hat schon jemand außer mir im diskursiven Nahkampf versucht, solchen Fundamentalismus zu durchbrechen?
Fazit: Selbst wenn man wollte, man kann nicht. Der klassische Kanon fehlerbehafteten Lebens manifestiert sich im Gang zur Waage, dem Weg ins Fitness-Studio und der Wahl der Informationsbroschüren. Das Sein bestimmt das Bewußtsein - noch mehr aber der Schein. Es ist ein religiöser Kultus der betrieben wird, und der Renegat wird geringgeschätzt.
Darum stellt sich meiner Ansicht nach die Frage nicht, ob man aufklären sollte. Es muß vielmehr gefragt werden, weshalb so viele Menschen aufklärungsunwillig und resistent sind wider kritische Einwände. Ein Bekannter – ein „Hemdchen“ - hat erstmals in seinem Leben eine Hantel angefaßt; er geht jeden Tag ins Studio. Subjektiv betrachtet fehlt ihm nicht mehr viel bis zum Mr. Universum. Zur Anwendung eines Maßbandes zwecks objektiver Feststellung seiner „Erfolge“ ist er nicht bereit. Wen wunder dies?
PS: Unlängst bin ich wieder daran gescheitert darüber aufzuklären, daß man mit dem Training des Pectoralis schlechterdings weibliches Fettgewebe nicht in Form bringen kann („Das steht so in der…“ – ja wo wohl?!).