Fortsetzung "Der glykämische Index"
(fortsetzung)
Man darf also dem GI keine so große Bedeutung beimessen, wie es derzeit geschieht. Abgesehen davon muss man differenzieren, ob es sich um einen Normalgewichtigen mit normaler Glukosetoleranz (normaler Blutzuckeranstieg nach Glukose- bzw. Kohlenhydratzufuhr) oder um einen Übergewichtigen bzw. Adipösen mit gestörter Glukosetoleranz (übermäßiger BZ-Anstieg) aufgrund einer Insulinresistenz handelt (metabolisches Syndrom). In letzterem Fall, vor allem, wenn bereits ein NIDDM (nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus = Typ 2-Diabetes mellitus, früher “Altersdiabetes“ genannt) vorliegt, kann es zweckmäßig sein, sich kohlenhydratbewusst zu ernähren, um den postprandialen Blutzuckerspiegel nicht zu hoch ansteigen zu lassen, weil das die Microangiopathie fördert, also die kleinen Blutgefäße in der Niere und Netzhaut schädigt. Wobei man aber aufpassen muss, dass man sich vor lauter Achten auf einen niedrigen GI nicht zu fettreich ernährt – denn das würde wiederum eine positive Energiebilanz begünstigen bzw. eine negative Energiebilanz und damit eine Reduktion des Körperfettanteils als kausalen Therapieansatz des metabolischen Syndroms verhindern.
Weiters würde durch eine fettreiche Kost eine bereits bestehende Insulinresistenz (die sich in Form einer gestörten Glukosetoleranz zeigt, sprich als übermäßiger Blutzuckeranstieg und verzögerter BZ-Abfall beim oralen Glukosetoleranztest (OGTT) bzw. nach einem kohlenhydrathältigen Frühstück) weiter verstärkt werden, weil die postprandial anflutenden Fettsäuren nicht nur ins Fettgewebe, sondern auch in die Leber und vor allem in die Muskulatur eingeschleust werden. Das würde die Entwicklung eines Typ 2-Diabetes mellitus beschleunigen. Der Typ 2-Diabetes mellitus ist primär keine Zuckerkrankheit, sondern eine Fettkrankheit!
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der von den “Glyx“-Anhängern, die das Insulin zum “Sündenbock“ in Sachen Übergewicht stempeln, nicht bedacht wird: Der Anstieg des Insulinspiegels im Blut im Rahmen einer Mahlzeit hängt nicht nur von den zugeführten Kohlenhydraten, sondern auch Proteinen und Fetten ab. Die Insulin“antwort“ korreliert also nicht nur mit dem GI und der GL, sondern auch mit dem Energiegehalt der zugeführten Mahlzeit.
Zusammenfassung
Man darf nicht den Fehler machen, wie Montignac zu argumentieren, indem man die Thermodynamik und damit die Energiebilanz als letztlich entscheidendes Kriterium für die Entstehung von Übergewicht ignoriert. Kein Makronährstoff macht per se dick, auch nicht das Insulin, sondern einzig und allein eine positive Energiebilanz! Und dabei ist es egal, von welchem Makronährstoff zuviel zugeführt wird, jede “überschüssige“ Kalorie, egal, woher sie stammt, wandert in die Fettdepots. Die Annahme, Kohlenhydrate bzw. Glukose würden durch die Insulinwirkung sogleich in “neues“ Fett umgewandelt werden, ist ein biochemischer Irrtum.
Es ist geradezu grotesk, Kartoffeln als “Dickmacher“ hinzustellen, weil ihr Kaloriengehalt aufgrund ihres hohen Wassergehalts gering ist. Außerdem haben sie einen hohen Nährwert (siehe Folgeartikel und den ersten link). Abgesehen davon nimmt man bei üblicher Ernährung (Mischkost) Kohlenhydrate ohnehin nie isoliert zu sich. Der glykämische Index (GI) ist alles andere als ein für die Ernährungspraxis relevanter Parameter. Dazu ist er erstens keine fixe Größe (keine einheitlichen Werte für den GI der verschiedenen Nahrungsmittel, mehrere Einflüsse lassen den GI schwanken, außerdem bestehen individuelle Unterschiede) und spielt zweitens für das Ausmaß der Insulinausschüttung keine entscheidende Rolle. Relevant hiefür ist vielmehr die “glykämische Last“ (glycemic load, GL) eines Nahrungsmittels. Dieser Parameter ist definiert als das Produkt aus dem GI und der Menge an Kohlenhydraten in Gramm geteilt durch 100. Damit werden die von den Glyx-Anhängern verpönten Kartoffeln oder Karotten wieder “rehabilitiert“.
Es kann nicht oft genug betont werden, dass letztlich nur die Gesamtmenge an zugeführter Nahrungsenergie für die Energiebilanz relevant ist und nicht die einzelnen Makronährstoffe. Die Irrationalität von Montignac und seiner Jünger gipfelt in der Behauptung, nicht die Zufuhr von zuviel Kalorien, sondern die Zufuhr von “falschen“ Kohlenhydraten wäre via das “böse“ Insulin Schuld an der Entstehung von Übergewicht. Insulin ist aber kein “Feind“ des Körpers. Es hemmt nicht die Betaoxidation (“Fettverbrennung“) als vorrangigen Modus der Energiebereitstellung. Die Insulininkretion wird nicht nur durch Zufuhr von Kohlenhydraten, sondern auch von Proteinen und - wenngleich in geringerem Ausmaß - Fetten stimuliert. Das Ausmaß der postprandialen “Insulinantwort“ korreliert somit nicht nur mit dem glykämischen Index bzw. der glykämischen Last, sondern auch mit dem Energiegehalt der zugeführten Mahlzeit. Wer sich nur nach einem niedrigen GI orientiert, läuft Gefahr, sich zu fettreich und damit zu energiereich zu ernähren, was wiederum eine positive Energiebilanz und damit eine Speicherung von “neuem“ Fettgewebe begünstigt. Darüber hinaus verstärkt eine fettreiche Kost eine bereits bestehende Insulinresistenz weiter, weil die postprandial anflutenden Fettsäuren nicht nur ins Fettgewebe, sondern auch in die Leber und in die Muskulatur eingeschleust werden. Damit würde sich aus einer gestörten Glukosetoleranz in absehbarer Zeit ein manifester Typ 2-Diabetes mellitus entwickeln. Der Typ 2-Diabetes mellitus ist primär keine Zuckerkrankheit, sondern eine Fettkrankheit!
Der vorübergehende postprandiale Insulinanstieg im Blut, der die Lipolyse kurzfristig hemmt, hat mit einem Hyperinsulinismus nichts zu tun. Der Insulinspiegel im Blut korreliert vielmehr mit dem Körperfettanteil, eine Hyperinsulinämie ist Folge und nicht Ursache der Adipositas. Es ist die Energiebilanz, die das Fließgleichgewicht zwischen Lipogenese und Lipolyse im Fettgewebe einstellt und damit über den Körperfettanteil entscheidet. Das gilt für jedermann, auch für Adipöse mit Hyperinsulinämie bzw. Insulinresistenz. Auch die teilweise so eindrucksvoll dicken Amerikaner sind nicht deswegen so dick geworden sind, weil sie zuviel Kohlenhydrate mit hohem GI, sondern weil sie zuviel Energie zugeführt haben - auf gut Deutsch, zuviel gegessen haben. Und darüber hinaus - ein ganz mitentscheidender Grund für eine positive Energiebilanz - ihren Energieumsatz durch körperliche Inaktivität heruntergeschraubt haben. Diese Zeiterscheinung unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft ist hauptverantwortlich für die Zunahme des metabolischen Syndroms. Die zur Zeit geführten Ernährungsdiskussionen in Zusammenhang mit Übergewicht und Adipositas gehen am eigentlichen Hauptproblem vorbei - nämlich an der Tatsache, dass die Menschen unserer Wohlstandsgesellschaft zuwenig körperlich aktiv sind [link DIE PRÄVENTIVMEDIZINISCHE BEDEUTUNG KÖRPERLICHER AKTIVITÄT…“]
Bei allem Verständnis für den glykämischen Index bzw. die glykämische Last im Rahmen einer kohlenhydratbewussten Ernährung beim metabolischen Syndrom und Typ 2-Diabetes mellitus - wer die Ursache des Übergewichts nur in den “falschen“ Kohlenhydraten oder generell in den Kohlenhydraten sieht, verkennt die Realität.
Literatur und Links:
Glykämischer Index und glykämische Last - ein für die Ernährungspraxis des Gesunden relevantes Konzept? (Stellungnahme der DGE)
Ernährungs-Umschau 51 (2004) Heft 3 Teil 1: Einflussfaktoren auf den glykämischen Index sowie
Relevanz für die Prävention ernährungsmitbedingter Erkrankungen
http://www.dge.de/pdf/ws/glyx_lowcarb/EU_51_2004_Heft_3_GIykaemischer_Index_1.Teil.pdf
Ernährungs-Umschau 51 (2004) Heft 4 Teil 2: Umsetzung des Konzeptes eines niedrigen GI bzw. GL in Ernährungsempfehlungen für die Bevölkerung
http://www.dge.de/pdf/ws/glyx_lowcarb/EU_51_2004_Heft_4_GIykaemischer_Index_2.Teil.pdf
Die Ernährung in der Steinzeit - was die Evolution nicht erklärt
Dr. Alexander Ströhle, Prof. Dr. Andreas Hahn
http://gin.uibk.ac.at/thema/sportundernaehrung/EU_Evolution.pdf
Der Mythos vom Zucker: Wieviele Kohlenhydrate sind unschädlich?
Univ.Prof. Dr. Ibrahim Elmadfa
www.medical-tribune.at/homepage/medizin/elmadfa1.htm
Do High Glycemic Index Foods Cause Obesity and Diabetes?
A look at the false claims made in Sugar Busters and the Zone Diet books.
James J. Kenney, Ph.D., R.D., F.A.C.N.
www.foodandhealth.com/cpecourses/giobesity.php
Are Low-Carbohydrate Diets Good for What Ails You?
Dr. James J. Kenney
www.acsh.org/publications/priorities/0804/diets.html
Do High-Carbohydrate Diets Increase Heart Disease Risk?
By James J. Kenney, PhD, RD, FACN
www.foodandhealth.com/cpecourses/stanford.php
Carbohydrate Unloading: A Reality Check
Ellen Coleman, RD, MA, MPH
THE PHYSICIAN AND SPORTSMEDICINE - VOL 25 - NO. 2 - FEBRUARY 97
www.physsportsmed.com/issues/1997/02feb/carbo.htm
How the Low-Carb Craze is Making Us Fat
www.menshealth.com/cda/article/0,2823,s1-6-0-0-1303-2-2-2,00.html
Low Carbs and Lower Journalistic Standards
www.fumento.com/fat/media.html
Low-Carb Diets May Hurt Heart Health
http://www.kwwl.com/Global/story.asp?=253014
Hold the Lard - The Atkins Diet Still Doesn't Work
www.fumento.com/fat/lard.html
gruß, kurt