Der Klimmzug

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Fristet die zunehmend verwaisende Klimmzugstange in den Fitnessanlagen zu Recht ihr Schattendasein oder führt das mangelhafte Können der Fitnesstreibenden zu diesem Minimalgebrauch?



Wer schafft heutzutage noch einen Klimmzug?



Eine Frage, die bei der zunehmend übergewichtigen Gesellschaft von immer weniger Personen bejahend quittiert werden kann. Aber auch dünnere Zeitgenossen haben hier immer weniger zu bieten! Brauchen wir zur körperlichen Fitness überhaupt noch den Klimmzug oder reichen diverse "Haltungs- und Stabilitätsprogramme" aus? Wird der Klimmzug schliesslich in die Bodybuildingstudios und Kletterhallen verbannt? Bevor wir uns mit dem Klimmzug auseinandersetzen, lassen Sie uns über die Schwerkraft sprechen.





Als Lebewesen dieses Planeten erstmals das Wasser verliessen, begann für sie die Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Schwerkraft. So wirkt diese bereits seit 400 Millionen Jahren täglich 24 Stunden auf Flora nd Fauna ein und beeinflusst massgeblich deren Erscheinungsbild. Alle aufs Land übersiedelten Lebensformen mussten demzufolge stabilere Strukturen entwickeln. So waren entsprechende Anpassungen insbesondere im Skelett-, Muskel- und Steuerungsapparat der Tiere erforderlich, um sich im Schwerkraftfeld bewegen und behaupten zu können und den hohen Belastungen zu widerstehen.







Die Gewalt der Schwerkraft wird einem unmittelbar bewusst, wenn man stürzt oder von einer Mauer herunter springt. Wer beim Laufen schon einmal hinfiel, erinnert sich vielleicht noch, wie schnell der Boden näher kam und ein Sturz aus nur wenigen Metern Höhe kann oft zu lebensgefährlichen Verletzungen führen. Übertragen aufs Autofahren würde das enorme Beschleunigungsvermögen der Schwerkraft bedeuten: Von 0 auf 100km/h in 2,8 Sekunden, von 0 auf 200km/h in 5,7 Sekunden!



Bei Bewegung muss Schwerkraft überwunden werden



Wann immer Bewegung passiert, muss die Schwerkraft überwunden werden und selbst in Ruhe gilt es, der Schwerkraft zu trotzen. Unser Organismus, unsere Muskulatur, unser Skelett und unsere Versorgungssysteme sind davon geprägt und darauf eingestellt – evolutionär optimiert und genetisch verankert! Wir erheben uns gegen die Schwerkraft, richten uns auf, heben Lasten hoch, laufen, springen, werfen, ziehen Dinge heran und ziehen uns auch selbst gegen die Schwerkraft nach oben. Wie leicht, wie ökonomisch und wie schnell wir die Schwerkraft in allen Raumrichtungen überwinden können, bietet Rückschlüsse auf unser Stabilisierungsvermögen, unsere Kraft, unsere Bewegungskompetenz und definiert damit unsere körperliche Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit.





Als gestandene Zweibeiner mit Läuferqualitäten weisen natürlich unsere Beinknochen die höchsten Belastbarkeiten auf, und die Knie-/Hüftmuskulatur kann die grössten Kräfte entfalten. Schliesslich ist immer das ganze Körpergewicht inklusive eventueller Zusatzlasten zu tragen, und insbesondere die Dynamik des schnellen Laufs und des Sprungs benötigt höchste Muskelkräfte und produziert entsprechend die grössten Belastungen.







Sind nun für uns als Zweibeiner Klimmzugfähigkeiten wirklich relevant, oder müssen diese nicht vielmehr ins Trainingsprogramm der Turner und Kletterer oder beim Figurtraining für die V-Form eingeordnet werden? Interessant sind hierzu folgende Beobachtungen. Aus mechanischen Knochenuntersuchungen wissen wir, dass der Oberschenkelknochen und das Schienbein auf Druck höher belastbar sind als auf Zug. Alles andere wäre ja auch verwunderlich! Spannend ist hingegen die Belastbarkeit der Unterarmknochen. Hier ist es tatsächlich so, dass diese höher auf Zug belastbar sind als auf Druck. Das bedeutet, dass unsere entwicklungsgeschichtliche Vergangenheit als Vierbeiner schon wirklich lange zurückliegt, dagegen die Zeit des Hanglerdaseins in unserem Skelett noch genetisch abgebildet ist. Der laufende und hangelnde Zweibeiner.







Beim Klimmzug ziehen wir uns bekannterweise frei hängend gegen die Schwerkraft nach oben.



Beim engen Klimmzuggriff bedeutet dies eine Schultergesamtbeweglichkeit von 180°. Da die Amplitude des Schultergelenks (Glenoidalgelenk) bei ca. 90° Armabduktion bereits ausgereizt ist, wurde entwicklungsgeschichtlich ein bewegliches Schulterblatt erforderlich. Diese erweiterten biomechanischen Fähigkeiten, das hohe Zugvermögen der oberen Extremitäten und die vergrösserte Schulterbeweglichkeit, wurden bereits beim Hangeln und Klettern in den Bäumen erworben, und gereichen uns bis heute zum Vorteil hinsichtlich eines grösseren Greifraums und einer in allen Raumlagen belastbaren oberen Extremität.

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