Erfahrung und Wissen

HIT4Life

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Der Begriff der Trainingserfahrung wird vielfach genutzt. Zum einen werden bei verschiedenen Programmen darauf verwiesen, dass dieses nur von erfahrenen Athleten genutzt werden sollen. Zum anderen verweisen Trainierende oft selbst darauf, dass sie schon länger trainieren. Die Fragen die sich daraus ergeben sind: Wieviel Erfahrung braucht man wofür?Ist "länger trainieren" gleich Erfahrung?Wenn nicht, was ist es dann?
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich hier weder auf irgendwelche Artikel noch Theorien stützen werde sondern darauf, was ich durch jahrelanges Training selbst und intensive Beobachtungen von Trainingspartnern und "Schülern" erlernt habe.

Stadium 1: Die Basics (~ die ersten 6-12 Monate)

Der Einstieg ist für jeden schwer da er entweder durch komplettes Unwissen oder einen Informationsoverload leicht vom Weg abkommt. Die größte Hürde stellt meiner Erfahrung nach der Gedanke dass mehr besser ist bzw. wenn Person X soviel macht muss man selbst noch mehr machen denn man ist ja schliesslich etwas ganz besonders. Durch die besondere körperliche Konstitution des Anfängers ist es sehr schwer wirkliche Erfahrungen zu sammeln bzw. langfristige Entwicklungen festzuhalten. Die ersten paar Wochen kann man nahezu nichts falsch machen. Der Körper ist bei 0 und reagiert auf (nahezu) alles. In meinem Fall habe ich sehr hohes Volumen mit verschiedenen Intensitätstechniken gemacht und so wie viele andere kein Beintraining. Trotzdem hat der Aufbau exzellent funktioniert. Woher hätte ich wissen sollen, dass ich mich eines Tages in einem Zustand befinden würde der 2 Monate Trainingspause verlangt?Woher hätte ich wissen sollen, dass der Körper nicht ewig weiterwächst wenn er nicht auf einem starken Fundament aufbaut?Da ich schon immer jemand war, der immer an zusätzlichem Wissen interessiert war habe ich im Studio so manche Neuanfänger beobachtet bzw. auch manche selbst trainiert - mit unterschiedlichen Programmen die sich im Lauf der Zeit durch meinen gestiegenen Wissens- und Erfahrungsschatz weiterentwickelt haben. Das Ergebnis: Am Beginn funktioniert einfach alles. Technikfehler können bei exzessivem Auftreten zu Verletzungen führen aber wiegen für den Muskelaufbau weit weniger schwer als für den Fortgeschrittenen. Die Frage ist nun, was sind die Erkenntnisse darüber was bei einem selbst funktioniert hat wert? Ist es sinnvoll diese an andere weiterzugeben?

Die Antworten darauf sind relativ gering und Nein. Man stelle sich, dass man selbst Hilfe sucht. Nun eröffnet man einen Thread und 10 Personen die weniger als ein Jahr trainieren werden einem erzählen wie sie mit 10 verschiedenen Programmen jeder XY aufgebaut haben. Würden 10 Personen antworten die mehrere Jahre trainieren wärem die Antworten zu einem Großteil gleich - Beispiel Grundlagenplan. Warum würden erfahrene Athleten darauf verweisen?Ganz einfach weil sie erkannt haben, dass es doch Parallelen für den langfristigen Erfolg gibt auch wenn jeder individuelle Parameter einbaut was eigentlich erstaunlich ist wenn man bedenkt, dass der Sport so individuell geprägt ist.

Was will ich damit sagen?Am Beginn kann man bezüglich Trainingssystemen keine wirklichen Erfahrungen sammeln - zumindest kurzfristig. Es ist daher sinnvoll auf den Konsens erfahrener Athleten zu vertrauen und einen Grundlagenplan zu verfolgen. Aus den gleichen Gründen benötigt man auch keinen außergewöhnlichen Ernährungsplan mit zig Supplementen. Die wichtigsten Erfahrungen für den Anfänger sind das Kennenlernen der Muskulatur und einer produktiven Übungsausführung. Diese Erfahrungen beziehen sich darauf zu erlernen bei welchen Übungen welche Muskeln wie stark beansprucht werden. Hat man beim Bankdrücken schmerzen in den Ellbogen so führt man die Übung falsch aus. Hat man mehrmals Muskelkater im unteren Rücken so führt man die Übung falsch aus. Spürt man die Brust, Schulter und Trizeps so ist man auf einem guten Weg.

Stadium 2: Stagnation und Adaption (~ < 3 Jahre)

Wenn man diesen Punkt erreicht hat wird es tatsächlich interessant denn das bedeutet man muss einen Weg finden die Stagnation zu überwinden. Das ist nicht immer einfach aber das ist der Punkt wo man wirkliche Trainingserfahrung sammeln kann. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt - Periodisierung, mehr Volumen, weniger Volumen, andere Übungen, andere Ausführung, andere Systeme. Dazu möchte ich hier auf die Parallele zu Supplementen verweisen. Auch die Wirkung dieser lässt sich ausschliesslich anhand der Stagnation als Ausgangspunkt bewerten. Wenn man ohnehin permanent aufbaut kann man sagen ob dies trotz, mit oder wegen der Supps funktioniert. Wenn man stagniert hat und nach Anwendung von Supplement X um 10% stärker oder um 5% schwerer ist so kann man durchaus folgern, dass das Supplement wirksam war. Natürlich nicht uneingeschränkt denn auch hier könnte es sein, dass es am Training alleine lag oder an anderen geänderten Parametern (mehr Schlaf, weniger Stress, persönliches Wohlbefinden etc).

In diesem Stadium gilt auf jeden Fall: Erfahrungen sammeln. Die wohl häufigste ist, dass noch mehr Training die Stagnation nicht aufhebt sondern verschlimmert. Diese ist zwar sicherlich vorteilhaft für übertriebenes Ego aber auf jeden Fall keine die man notwenigerweise selbst machen muss, denn diese haben bereits unendlich viele vorher gemacht. Eine weitere klassische negative Erfahrung ist, dass man nach längerer Anwendung eine Übung in einzelnen Muskelgruppen immer weniger spürt. Da nicht nur die Genetik sondern auch die individuelle Anatomie eine Rolle spielt so empfiehlt es sich hier auch mit verschiedenen Übungen zu experimentieren. Manch Trainierender reagiert hervorragend auf Bankdrücken aber es gibt sehr viele, bei denen diese Übung sehr schlecht funktioniert. Das bedeutet eine oftmals sehr einfach Lösung für Stagnationsprobleme liegt in einem Austausch der Übungen. Diese Erkenntnis ist nicht nur für diese Phase interessant sondern für das gesamte Training.

Trotz der großen Freiheit für die Kreativität sollte man sich nicht allzu weit vom "Wegrand" wegbewegen und bekannte Systeme nicht komplett umzukrempeln denn manche Erfahrungen sind einfach nur Zeitverschwendung. Das kann ich rückblickend definitiv sagen da ich selbst mittlerweile gut 15 Systeme bzw. Trainingspläne ausprobiert habe und davon 4 übriggeblieben sind, die ich auch in Zukunft verwenden werde. Es mag sein, dass für jemand anderen andere Systeme übrigbleiben aber auch dann werden es wohl nicht mehr als 3-4 sein an denen man festhält. Die bekannten Systeme bzw. Trainingspläne (GVT, Hatfield, HIT etc.) haben schon ihre Berechtigung und hängen hauptsächlich von der persönlichen Präferenz oder den persönlichen Zielen ab.

Stadium 3: Der Erfahrene

Um es mit einem Satz zusammenzufassen: Der erfahrene Trainierende kennt die Fähigkeiten und Grenzen des Körpers und geht damit entsprechend um. Übertraining sollte kein relevanter Faktor mehr sein, da es entweder gar nicht mehr auftritt oder durch zusätzliche trainingsfreie Tage diesem entgegengewirkt wird. Das "Testen" ganzer Systeme sollte in den Hintergrund gedrängt sein da man bereits weiss welche Systeme den persönlichen Präferenzen und körperlichen Bedürfnissen entsprechen. Hier gehts es ums "Feintuning".

Interessant wird hier auch der Umgang mit sogenannten "wissenschaftlichen Artikeln". Es empfiehlt sich stets über Sinn und Unsinn dieser Gedanken zu machen. Oftmals gibt es Artikel über Studien zu X und Y. Dabei muss man darauf achten wie diese Studien durchgeführt wurden - oftmals mit komplett untrainierten Personen aus derem Training dann Schlüsse gezogen werden oder generell deren Inhalt. Beispielsweise Messungen über die Muskelaktivität. Die Ergebnisse mögen auf den ersten Blick durchaus interessant erscheinen aber Fakt ist auch, dass man diese meistens nicht nachprüfen kann. Genausowenig wie diverse Vorgänge im inneren des Körpers wie etwa die Proteinsynthese. Ich persönlich habe aus diesem Grund aufgehört diese zu lesen. Oftmals gibt es auch Trainingspläne von "Experten" die leider nicht darauf hinweisen, dass ihr Plan für non-naturals gemacht ist. Man sollte auch in der Lage sein aufgrund des persönlichen Wissens diese zu erkennen ohne sie ausprobieren zu müssen. Selbstverständlich steht es einem frei aber wenn dort soviele Sätze für den Bizeps veranschlagt sind wie ihr in eurer ganzen TE nicht macht dann sollte man doch die Finger davon lassen und wissen warum.

Da wir alle Mitglieder eines Forums sind sehe ich als Verantwortung aller nur solches Wissen weiterzugeben, dass anderen wirklich weiterhilft. Wissen das weiterhilft ist solches, das allgemeingültig ist sofern man diesen Begriff verwenden kann bzw. bei einer Vielzahl von Trainierenden funktioniert hat. Klar gibt es immer wieder starke Ausreisser aber der Großteil der Trainierenden bewegt sich doch im Durchschnitt so dass es doch viele Gemeinsamkeiten gibt. 1 aus 1000 mag mag mit 20 Sätzen pro Muskelgruppe super aufbauen aber für die Breite Masse ist eher die Hälfte angebracht.

Um es nochmals zusammenzufassen: Als Anfänger konzentriert man sich darauf in der Übungsausführung Erfahrung zu sammeln. Trainingspläne und Ernährung sollten sich an den Grundlagen orientieren da man ohnehin keine Ahnung hat warum und was man daran verändern könnte/dollte. Die grundlegende Erfahrung wird in der Stagnationsphase gesammelt wenn es gilt diese durch Anpassung der verschiedenen Trainingsparameter zu überwinden. Danach hat man sich zum Fortgeschrittenen hochgearbeitet der in der Lage ist die gewonnene Erfahrung langfristig zielführend einzusetzen und diese auch sinnvoll weiterzugeben.

Eine Menge zu lesen aber ich hoffe es ist für einige interessant und den doch relativ großen Aufwand wert.
 
A

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Re: Erfahrung und Wissen
Dauert echt ne weile das zu lesen ^^
Finde aber du hast die ganze thematik sauber und bestens erklärt, an deiner stelle würd ichs gleich pinnen, is ja nicht so als müsstest du erst nen mod bitten das zu machen :D

von mir hast du jedenfalls nen punkt dafür bekommen.

mfg
 
Ja sehr gut Hit!

Leider sieht wahrscheinlich jeder, der mehr als ein Jahr trainiert sich ungern immernoch als Anfänger.

Ps: 2 mal ist mir aufgefallen, dass ein Wort fehlt und noch irgendwas ist mir aufgefallen. Wenn du magst änder ich es. Oder du ließt es nochmal konzentriert durch. Oder du lässt es einfach :D
 
@hell: Ich möchte den Thread eigentlich zu einem Diskussionsthread machen und werde ihn daher erstmal nicht pinnen.
@Fx: Du kannst es gerne ausbessern.
 
Ja du bist ja auch einer der nicht auf den Kopf gefallen ist. ;)
Ich muss mit meinen Sätzen aufpassen merke ich. Ich meinte eher "fast jeder" oder alle, die einfach pumpen ohne sich irgendwie mit dem Sport auseinander zu setzen und nach 2 Monaten zu einem exotischen 5er Split wechseln.
Ich trainiere ja auch schon ein Weilchen, aber so viel Zeit wie ich durch falsches und dummes Training verdudelt habe bin ich auch noch kein Fortgeschrittener.
Ich frage mich, ob ich je an dem Punkt ankomme, an dem ich sagen werde "ich weiß was meinem Körper gefällt" (also in Sachen Training :D )

@Hit: Wenn der Thread mal angepinnt wird lese ich Kontrolle, ansonsten erscheint mir das überflüssig. War nichts dramatisches, nur als Sticky sind eben weniger Fehler = mehr Seriosität.
 
Ich frage mich, ob ich je an dem Punkt ankomme, an dem ich sagen werde "ich weiß was meinem Körper gefällt" (also in Sachen Training :D )
genau das ist so eine wunschvorstellung von mir: dass ich irgendwann intuitiv trainieren kann, ohne mich an einen plan zu halten und trotzdem gute fortschritte damit mache...is aber nur ne wunschvorstellung^^
 
genau das ist so eine wunschvorstellung von mir: dass ich irgendwann intuitiv trainieren kann, ohne mich an einen plan zu halten und trotzdem gute fortschritte damit mache...is aber nur ne wunschvorstellung^^

Diesen zustand zu erreichen ist nicht so schwer - man benötigt halt Geduld dafür. Wenn man die Fähigkeiten und Grenzen seines Körpers kennt dann kann man alles was innerhalb dieser liegt machen und flexibel Anpassungen vornehmen. Am schwierigstens finde ich den Grat zwischen Umfang, Häufigkeit und Intensität des Trainings zu finden. Man kann sehr oft oder mit wirklich hohem Volumen trainieren aber herauszufinden mit welcher Intensität man das machen kann ist das schwierigste. Man kann sicher mit 30% der Leistung 3x die Woche GK machen - damit wird man sicherlich nicht übertrainieren aber es wird nicht reichen. Nimmt man 100% wird man bei 3x sicherlich übertrainieren sofern man kein blutiger Anfänger ist. Das Problem ist halt, dass dazwischen eine Unmenge von Möglichkeiten liegen. Dies war für mich auch ein Beweggrund warum ich mit Ausnahme von Maxkraftphasen eigentlich immer Intensitätstrainingsmethoden anwenden. Man verwendet einfach 100%, macht einen Satz und trainiert sobald man sich wieder erholt fühlt und ist nicht an eine bestimmte zeitliche Abfolge eines Splits gebunden. Natürlich ist es machbar aber es erfordert viel Zeit das wirklich genau sagen zu können. Beim Volumentraining ist es wirklich sehr sinnvoll sich an die klassischen Bereiche a la 9-12 Arbeitssätze für große Muskelgruppen usw. zu halten und 70-75% des max. als Arbeitsgewichte zu verwenden - das ist eine sehr gute Ausgangsbasis.
 
A

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Re: Erfahrung und Wissen
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