Doch schnellere Bewegungen für mehr Muskeln?!

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Re: Doch schnellere Bewegungen für mehr Muskeln?!
Die Anatomie des Rückenmarks
Um bei dieser Erläuterung voran zu kommen, ist es wichtig zu verstehen, wie das Rückenmark und die Motoneurone, normalerweise, in den meisten Büchern zur Neurologie beschrieben werden.
Das Rückenmark hat ungefähr den Durchmesser einen menschlichen Fingers und verläuft von der Basis des Schädels bis zum letzten Rückenwirbel. Es enthält millionen von Nervenfasern, welche Informationen von den Gliedern, Organen und dem Gehirn weg- und zu ihnen hin tragen.
Stellt Euch vor, ich würde Euch das Rückenmark raus reißen, den oberen Teil abhacken und von oben auf den Bereich schauen, in dem die Motoneurone zu Euren Bizeps (Flexoren) und Trizeps (Extensoren) wandern. Und aus Gründen der Veranschaulichung nehmen wir an, Ihr könntet den absteigenden Nervenast von Eurem Gehirn sehen, welcher mit diesen Motoneuronen kommuniziert. Folgendes könntet Ihr beobachten:
Erstens, Motoneurone entspringen in Eurem Rückenmark, von wo aus sie zu Euren Muskeln laufen. Zweitens, Motoneurone erhalten einen konstanten Zufluss von Anweisungen aus Eurem Gehirn, durch einen absteigenden Nerventrakt. Steigt der Zufluss von diesem Trakt, können mehr Motoneurone rekrutiert werden, oder diese Motoneurone können schneller feuern. In beiden Fällen steigt die Menge an Kraft, die Eure Muskeln erzeugen können.

Lasst uns nun die Geschichte der Motoneurone betrachten.

Das Größenordnungsprinzip
bessere Nerven


Wie Motoneurone funktionieren
Im Jahr 1965 veröffentlichte eine Professor der Physiologie in Harvard, Dr. Elwood Henneman, eine grundlegende Studie über die Funktion von Motoneuronen. Sein Team fand heraus, dass Motoneurone mit dem kleinsten Durchmesser weniger elektrischen Zufluss benötigten, um zu reagieren, als die größeren Exemplare.
Motoneurone erhalten, so wie fast jeder andere Nerv im menschlichen Körper, einen konstanten Zufluss an Informationen von anderen Nerven, wie zum Beispiel dem absteigenden Nerventrakt des Gehirns.
Stellt euch diesen konstanten Informationsfluss als Hintergrundrauschen vor. Sobald das Rauschen eine gewisse Intensität erreicht, beginnen die Motoneurone zu feuern. Ich werde den Ischiasnerv, den größten Nerv in Eurem Körper, als Beispiel nehmen, um zu erklären, warum diese Erkenntnisse wichtig für Eure Trainingsziele sind.
Stellt Euch vor, Ihr greift Euch eine Hand voll Stroh. Dieses Strohbündel ist der Ischiasnerv, während die einzelnen Halme die Motoneurone darstellen. Allerdings besitzen Eure Motoneurone, im Gegensatz zum Stroh, alle einen anderen Durchmesser, welcher die Reihenfolge der Rekrutierung bestimmt.
Nehmen wir mal an, ein Arzt würde einen elektrischen Stimulator direkt in Euren Ischiasnerv rammen. Und nehmen wir weiter an, dass die Spitze des Stimulators direkt auf dem kleinsten Motoneuron im Ischiasnerv liegt. Er würde nun den Stimulator nur bis zu einer gewissen, sehr kleinen Spannung aufdrehen müssen, bis am Motoneuron ein Schwellenwert erreicht ist und es anfängt zu feuern. An diesem Punkt, wandert ein elektrisches Signal am Motoneuron hinab und bringt die zugehörigen Muskelfasern zum kontrahieren.

Und jetzt wird es interessant!

Der Unterschied zwischen kleinen und großen Motoneuronen
Da dies das kleinste Motoneuron des Ischiasnervs ist, innerviert es auch das kleinste Muskelfaserbündel. Kleine Motoneurone kontrollieren kleine Muskelfasern. Diese Fasern besitzen nicht nur den kleinsten Durchmesser, sondern befinden sich auch im kleinsten Faserbündel.
Dieses Motoneuron lässt also ein kleines Faserbündel von, sagen wir mal, 50 Muskelfasern kontrahieren, welches nur sehr wenig Kraft erzeugt. Ein Bündel aus 50 Fasern ist übrigens sehr klein. Ein einzelnes Motoneuron, welches Eure Hamstrings innerviert, kann mehr als tausend Muskelfasern kontrollieren.
Stellt Euch als nächstes vor, der Arzt würde den Stimulator in Euer größtes Motoneuron stecken. Dieser Nerv würde eine erheblich größere Spannung benötigen, bis sein Schwellenwert erreicht wäre, da er viel dicker ist.
Da dies das größte Motoneuron ist, innerviert es die größten Muskelfasern (vom Durchmesser her) und die größten Muskelfaserbündel. Fette Motoneurone kontrollieren fette Muskelfasern. Dieses fette Motoneuron könnte 1000 fette Muskelfasern kontrahieren lassen, was eine große Kraftproduktion zur Folge hätte.

Der hervorragende Text "From Neuron to Brain", fasst diesen Prozess folgendermaßen zusammen:

"Muskelkontraktionen beginnen an den kleinen Motoneuronen und steigern sich zu den großen (das Größenordnungsprinzip der Rekrutierung von motorischen Einheiten), da kleine Motoneurone einfacher durch ein synaptisches Signal zu stimulieren sind als größere."(2)

Anders gesagt, wird ein wenig intensives Signal von Eurem Gehirn, nur die kleinsten Motoneurone aktivieren, welche Eure kleinsten Muskelfasern innervieren. Um die größten Muskelfasern zu rekrutieren und maximale Kraft zu produzieren, braucht es einen starken Nervenimpuls von Eurem Gehirn.
Ein lebensbedrohliches Ereignis wird Eure absteigenden Nervensignale in solchem Maße erhöhen, dass Ihr in der Lage seid, alle zur Verfügung stehenden Muskelfasern zu rekrutieren, was Euch übermenschliche Kraft verleihen wird.

Wiederholen wir das noch einmal.

Dr. Hennemans Größenordnungsprinzip sagt aus, dass die kleinsten Motoneurone die geringste Spannung benötigen, damit der Schwellenwert für die Rekrutierung erreicht wird. Die größten Motoneurone benötigen wiederum auch die größte Spannung, um aktiviert zu werden.
Basierend auf früheren Arbeiten von Dr. Eccles und Dr. Sherrington wissen wir, dass die kleinsten Motoneurone die kleinsten Faserbündel, mit den dünnsten Muskelfasern innervieren (sie bilden die kleinste motorische Einheit). Dahingegen innervieren die größten Motoneurone auch die größten Faserbündel, mit den dicksten Muskelfasern (sie bilden die größte motorische Einheit) (3).
Deswegen feuern zuerst die kleinsten motorischen Einheiten, gefolgt von immer größeren motorischen Einheiten, wenn die benötigte Kraft größer wird. Tatsächlich steht sogar in meiner Bibel aus Unizeiten, "Principles of Neural Science: Fourth Edition", in großen Lettern: "Motorische Einheiten werden in einer festen Reihenfolge rekrutiert."

Ordnungswidrige Rekrutierung?

Als ich 2005 meinen Abschluss machte, sah man die feste Reihenfolge der Rekrutierung von motorischen Einheiten als beste Erklärung dafür, wie die Muskeln, unter normalen Umständen, mehr und mehr Kraft produzieren. Alle Studien, die etwas anderes zeigten, waren normalerweise an einer Fülle verschiedener Tiere durchgeführt worden, deren Physiologie sich meist von der menschlichen unterschied.
Beispielsweise wurde gezeigt, dass das normale Rekrutierungsmuster verändert wird, wenn eine Katze schnell ihre Pfote schüttelt oder wenn ein afrikanischer Primat versucht, aus dem Labor zu hüpfen. Aber jeder gute Wissenschaftler weiß, dass an Tieren gemachte Beobachtungen meist nicht auf den Menschen übertragbar sind.
Es gibt auch einige unklare Daten darüber, was passiert, wenn man eine isometrische Kontraktion mir super leichtem Gewicht in verschiedenen Gelenkwinkeln hält. Oder wie sich die Rekrutierung motorischer Einheiten bei verletzten Muskeln mit Schmerzempfindung ändert.
Wichtig für Euch ist aber vor allem, wie die Rekrutierung von motorischen Einheiten bei dynamischen Kontraktionen, mit moderaten bis schweren Gewichten, reguliert wird. Anders gesagt: auf welche Art werden motorische Einheiten rekrutiert, wenn Ihr schweres Kreuzheben mit vier Wiederholungen ausführt? Meiner Meinung nach, welche sich auf jahrzehntelange Forschung stützt, erklärt das Größenordnungsprinzip noch immer am besten, wie man in einem Workout am meisten Kraft produzieren kann.
Allerdings veröffentlichten Wakeling et al., im Jahr 2006, eine beeindruckende Studie an menschlichen Probanden. Sie verwendeten oberflächliche Elektromyographie (EMG), um die Aktivität der Wadenmuskulatur zu messen: dem Soleus, sowie dem medialen und lateralen Kopf des Gastrocnemius.
Ihre Beobachtungen waren erstaunlich. Die erhobenen Daten zeigten, dass im medialen Kopf des Gastrocnemius die großen motorischen Einheiten bevorzugt rekrutiert wurden. (5)
Diese Untersuchung war erstaunlich, da sie der Theorie widerspricht, dass die motorischen Einheiten des Menschen, bei willkürlichen Bewegungen, immer in einer festen Reihenfolge rekrutiert werden. Wenn die großen motorischen Einheiten feuerten, hätten alle kleineren Einheiten eigentlich am Limit arbeiten müssen.
Wie war diese bevorzugte Rekrutierung der schnellen/großen motorischen Einheiten möglich? Bevor ich das erkläre, ist es wichtig zu verstehen, wie Motoneurone überhaupt aktiviert werden.

An- oder ausschalten
Vor dem Beginn jeglicher willkürlicher Bewegungen, gibt es eine Zusammenarbeit einiger Areale im Gehirn, welche ein Signal durch den absteigenden Trakt in das Rückenmark, zum Ursprung Eurer Motoneurone sendet. Motoneurone, welche die Armmuskeln innervieren, verlassen das Rückenmark weiter oben als solche, die Beinmuskeln innervieren. Diejenigen Motoneurone, welche Euren Biceps brachii innervieren, verlassen das Rückenmark auf Höhe des fünften Halswirbels (= C5).

Nehmen wir an, Ihr habt 100 Motoneurone, vom kleinsten zum größten, welche alle Muskelfasern Eures Bizeps brachii innervieren. Wenn Ihr langsam eine 10Kilo Hantel curlt, würdet Ihr vielleicht die ersten 25 Motoneurone aktivieren, welche 25 verschiedene Muskelfaserbündel innervieren.
Wärt Ihr allerdings fokussiert genug, um diese 10Kilo Hantel so schnell wie möglich zu beschleunigen, könntet Ihr ungefähr 90 der 100 Motoneurone rekrutieren, da Ihr das absteigende Nervensignal verstärkt habt, in dem Versuch, die süße Gymnastik-Maus mit Eurem blitzschnellen Bizepscurl zu beeindrucken.
Jawohl, ein einfacher Weg, mehr motorische Einheiten zu rekrutieren, ist, sich schon VOR Beginn einer Bewegung darauf zu konzentrieren, dass Ihr sie mit maximaler Beschleunigung ausführt. Dieser mentale Fokus wird die Zahl rekrutierter Motoneurone effektiv erhöhen, damit Ihr schneller, mehr Kraft produzieren könnt.
Allerdings gibt es andere Nerven in Eurem Rückenmark (so genannte Interneurone), die Informationen von Euren Motoneuronen erhalten und mit ihnen kommunizieren. Eine Gattung von Interneuronen, die Renshaw Zelle, kann Motoneurone hemmen und sie vom feuern abhalten.
Eine Renshaw Zelle erhält ein konstantes Feedback von aktivierten Motoneuronen. Sie prüft das Aktivitätslevel der Motoneurone und erhält währenddessen einen kontinuierlichen Input vom Gehirn, über die absteigende Nervenbahn.
Stellt Euch die Renshaw Zelle als Truppenführer im Militär vor. Dieses Interneuron sitzt in Eurem Rückenmark und erhält einen konstanten Informationsfluss von aktivierten Motoneuronen. Muss ein Motoneuron stärker feuern, wird das vom Interneuron veranlasst, während es von weniger genutzten motorischen Einheiten die "Feuerkraft" reduziert.
Eine Hypothese, um die Unterbrechung der Motorekrutierung nach dem Größenordnungsprinzip zu erklären, stützt sich also auf die Renshaw Zellen. Als die größeren Motoneurone feuerten, hemmten die Renshaw Zellen die Aktivität kleinerer Motoneurone, welche die kleinen Muskelfasern innervieren.

Keiner weiß genau, warum das passierte, da die kleineren Motoneurone feuern konnten, es aber nicht taten. Aus irgendeinem Grund, hielten die Renshaw Zellen die kleineren Motoneurone vom feuern ab.
bessere Nerven

Macht es schnell
Wie also konnten die Probanden bevorzugt große motorische Einheiten rekrutieren? Mit schnellen Muskelkontraktionen!

Ihr solltet Euch zwei wichtige Dinge aus diesem Artikel merken.

Erstens, sollten schnelle Kontraktionen Teil eures Trainings werden. Hier will ich die Wakeling Studie zitieren: "Diese Ergebnisse indizieren, dass ein Faktor, der zur bevorzugten Rekrutierung schnellerer motorischer Einheiten führen kann, eine hohe Geschwindigkeit der Muskelverkürzung ist. "

Das ist ziemlich cool. Tatsächlich sind zwei Wege, um sofort mehr motorische Einheiten zu rekrutieren, die Intention, eine Bewegung zu beschleunigen, bevor man diese ausführt und der tatsächliche Versuch, ein Gewicht maximal zu beschleunigen, auch wenn es schwer ist.

Zweitens, sollte man sich nie zu sehr auf eine einzelne Studie stützen. Es gibt Grenzen der EMG Analyse, deren Erläuterung den Rahmen dieses Artikels sprengen würden. Einfach gesagt ist es schwierig, mit oberflächlichen Elektroden, wirklich akkurat zu bestimmen, was in den Muskeln unter der Haut passiert.

Ich erwähne hier allerdings die Wakeling Studie im Besonderen, da dort die per EMG untersuchten Muskeln zusätzlich, mit Hilfe von Ultraschall, beobachtet wurden.

Man sollte auch beachten, dass sie lediglich im medialen Kopf des Gastrocnemius bevorzugte Rekrutierung beobachteten, nicht im lateralen Kopf oder im Soleus. Allerdings erklärt die Tatsache, dass die Forscher im medialen Kopf des Gastrocnemius, eine bevorzugte Rekrutierung durch schnelle Kontraktionen feststellen konnten, den Umstand, dass einbeiniges Hüpfen mit Kurzhanteln die beste Übung ist, um bei meinen Klienten die Masse des medialen Gastrocnemius-Kopfes zu vergrößern.

Letzte Worte
Das Ziel beim Training für mehr Masse und Kraft sollte sein, Eure größten und stärksten motorischen Einheiten zu rekrutieren. Jeder weiß, dass man schweres Gewicht bewegen muss, um breit und stark zu werden. Leider haben noch nicht viele Menschen die potentiellen Nutzen von explosiven Kontraktionen erkannt. Die Wakeling Studie ist ein weiterer wissenschaftlicher Bericht, der zeigt, wie schnelle Kontraktionen Euch helfen können, Eure stärksten motorischen Einheiten zu rekrutieren.

Mein Tipp für alle, die größer und stärker werden wollen, ist folgender: bewegt schweres Gewicht und konzentriert Euch bei leichteren Gewichten darauf, sie so schnell wie möglich zu beschleunigen. Beide Methoden vergrößern den neuralen Signalfluss zu Euren Muskeln.

Auch wenn das Größenordnungsprinzip also nicht ganz so funktioniert, wie wir immer dachten, kann man sich immer noch daran orientieren.


Ist möglicher Weise ein bisschen verschoben.. weil ichs gleich rein kopiert hab.
 
Danke fürs reinkopieren. Habs mir gerade durchgelesen.
Ich finde, viele Profis tun das sogar intuitiv! Kann mich an etliche Videos erinnern, wo zb. beim heben des Gewichtes das sehr schnell geschieht. Also nicht zu verwechseln mit schwingen, sondern mit Muskelkraft "explosiv" nach Oben. Nach Unten dann entsprechend langsamer, um alles unter Kontrolle zu haben.
 
Gegen explosive, kontrollierte(!!!) positive Phasen spricht nichts. Ist ja auch Grundlage einiger Systeme. Nur die negative Phase sollte langsam sein.
 
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Re: Doch schnellere Bewegungen für mehr Muskeln?!
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