"Die Wahrheit"

"wissenschaftliche Belege", Fehlinterpretation usw

"In den späten 60-iger Jahren war jeder ein Arsch mit Ohren, der seinen Kindern Grenzen setzte (und das war belegt durch Fachliteratur), viele Jahre lang galten Kinder von arbeitenden Müttern als sozial auffällig (auch das fundiert belegt), ausser es gab zu wenig Arbeitskräfte, dann waren solche Kinder ganz normal (auch das fundiert belegt), eine Weile lang frass man Streaks, wenn man einen muskulösen Körper wollte (auch das war "wissenschaftlich" belegt), dann erzählte man uns alles über den Fettverbrennungspuls und die einsetzende Fettverbrennung nach 30 Minuten bei Frauen (auch das ist hinreichend in wissenschaftlicher Fachliteratur beschrieben), und nun seien bitte ein paar ganz kleine Zweifel in Sachen "wissenschaftlicher Fakten" angebracht......."
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erstens: wissenschaftliche studien im bereich der soziologie, erziehungswissenschaft usw. liefern keine so "harten daten" wie die naturwissenschaft. da ist tatsächlich immer ein gewisser interpretationsspielraum gegeben. "fachliteratur", v.a. nicht sekundärliteratur, heißt aber noch lange nicht "erkenntnis". man muss evaluieren, und zwar die primärliteratur. das ist auf fachgebieten, wo man nicht mit "harten daten" aufwarten kann, natürlich schwierig. so gesehen ist es nur verständlich, dass hier der "state of the art" im lauf der zeit eine erkenntnisveränderung bzw. -erweiterung erfährt, da hier variablen ins spiel kommen, die nicht immer vorhersehbar sind und der lauf der zeit und geänderte lebensumstände auch neue variablen mit sich bringen. aber in der naturwissenschaft ist es schon so, dass "harte daten" und fakten zu erkenntnissen führen, die quasi "endgültig" sind. die biochemischen abläufe im citratzyklus brauchen nicht mehr in frage gestellt werden...
zweitens: dass man steaks essen sollte, wenn man einen muskulösen körper haben wollte, war niemals wissenschaftlich belegt, ebensowenig der mythos mit der erst nach 30 min einsetzenden fettverbrennung. dass dieser nonsens mehrfach in der literatur beschrieben wurde, stimmt - und das beruht auf der tatsache, dass in der fachliteratur, genauer sekundärliteratur (bücher), großteils einer vom andern abschreibt... und jeder, der als kind "stille post" gespielt hat, weiß, wie sehr sich der sinn einer aussage im lauf einer stafette verändern kann. einerseits beruht der irrtum auf der in älteren büchern (was heißt "älter" - das reicht bis in die 80er-jahre!), sogar etablierten "standardwerken" zu findenden aussage, der ruhende muskel würde seine energie zu 80% aus glucose- und zu 20% aus fettverbrennung beziehen (in wirklichkeit "ernährt" sich der ruhende muskel fast ausschließlich von fett), andererseits auf der fehlinterpretation des umstands, dass das ausmaß der anteilsmäßigen fettverbrennung an der muskulären energiebereitstellung bei extensiver dauerbelastung nach 30-40 min noch etwas zunimmt. das ist auch der grund, warum ein fettstoffwechseltraining lange dauern sollte (90 min und länger), um seinen zweck zu erfüllen. aber natürlich besteht die aerobe energiebereitstellung aus glucose und fettsäuren bei extensiver belastung von beginn an.
dass die fehlinterpretation des fettstoffwechseltrainings zum mythos "fettabbautraining" geführt hat, hat andy ja schon erwähnt. auch, dass eine kritische haltung wissenschaftlicher studien gegenüber und ihre evaluierung prinzipiell wünschenswert und sogar notwendig ist. aber wenn fakten zu einer erkenntnis geführt haben, braucht man sie nicht mehr in zweifel zu ziehen. man muss also wissen, was eine erkenntnis ist, um in der wissenschaft "mitreden" zu können.
lg, kurt
 
A

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Re: "Die Wahrheit"
Enttäuschend....

> bei erkenntnissen gibt es keinen interpretationsspielraum. fakten sind fakten.

Fakten sind Fakten, ja. Aber Erkenntnisse sind Interpretationen von Resultaten (auch DISKUSSION genannt).
Und dort kann man sehr wohl diskutieren. Die Erkenntnisse der heutigen Zeit (z.B. dass Prionen die Erreger von BSE sind) sind eigentlich nur Theorien, allerdings in der "wissenschaftlichen Welt" auf breitestem Konsens abgestützt, dass man sie einfach als Erkenntnis verkauft.

Ich möchte nur mal dran errinnern, dass es mal als gesichert galt, dass die Erde eine Scheibe ist, oder dass man es nicht überlebt, in einer Eisenbahn zu sitzen, die über 28km/h fährt.

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Phux
 
Erstens...

...hat sich die wissenschaft weiterentwickelt, auch was die wissenschaftstheorie und der umgang mit theorien, hypothesen und der diskussion von studienergebnissen betrifft.
zweitens ist "diskussion" und "erkenntnis" nicht dasselbe. die interpretation von resultaten ist keine erkenntnis, sie führt zu einer erkenntnis, aber auch nur dann, wenn die datenlage unumstößlich ist. so gesehen ist es auch (noch) keine wirkliche erkenntnis, dass prionen die erreger der jakob-creutzfeldt-erkrankung beim menschen sind. man hat nur bis dato keine andere erklärung dafür. dass erkenntnisse nichts als "auf breitem wissenschaftlichen konsens gestützte theorien" sind, ist nicht wahr. die theorie steht am anfang, sie führt zu einer hypothese, die dann durch fakten untermauert werden kann oder auch nicht.
gruß, kurt
 
Re: Erstens...

Zum Erstens:
Naja. Weiterentwickelt hat es sich unter Akademikern schon. Leider ist die Weisskittelgläubigkeit in der nicht-akademischen Bevölkerung immer noch weit verbreitet.

Zum Zweitens:

Eben. Leider werden solche ... hm... Zwischenresultate wie die Prionen (mir fällt grad kein besserer Begriff ein), heutzutage sehr schnell als Erkenntnis gehandelt. Eingeweihte wissen zwar, dass es keine ist, aber was nützt das, wenn 95 % der Bevölkerung der Ueberzeugung sind, es sei eine?

Dito eben auch die Diskussionen. Zu gerne werden Indizien als Beweise verkauft, mangelhaft oder falsch oder mindestens fragwürdig interpretiert und dann (gut für das eigene Rénommé) als Erkenntnis verkauft.
Das sehe ich leider jeden Tag wieder. Meist hacken die Autoren dann auch gleich auf potentiell kritischen Kollegen rum.

Seis wie es ist, ich will ja nicht die Wissenschaft an sich angreifen sondern nur den Umgang mit Messresultaten in Frage stellen. Und der geht vom Messpersonal bis hin zum interessierten Leser eines trivialwissenschaftlich aufbereiteten Artikels.

Schönes Wochenende

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Phux
 
Du sagst es!

ich kann das, was du sagst, nur unterstreichen!
ich selbst bin auch ein kritiker meiner kollegen, wenn es um das vermitteln objektiver information geht.
was die "weißkittelgläubigkeit" betrifft - du hast recht (siehe auch angis thread zum thema "TV und millionen" oder so ähnlich). es gibt aber heute auch zunehmend eine "gegenbewegung", sprich eine zunehmend ablehnende haltung vieler menschen der schulmedizin gegenüber und ein zuwenden an mittelalterliche hokus-pokus-methoden...
gruß, kurt
 
mein Senf

Also ein gesundes Misstrauen ist da glaub ich in allen Bereichen angesagt.
Allerdings ist das mit der "weißkittelgläubigkeit" ja auch so eine Sache; was bleibt mir als Laie denn anderes übrig, als dem Glauben zu schenken, was die (vermeintlich) besser Informierten von sich geben?

Sicherlich kann man sich in einigen Bereichen auch selbst informieren. Aber wir können ja nicht alle alles wissen, nicht? Dafür gibts ja eben die Fachleute...

Also weiter drauf hoffen, das die die öffentlich was erzählen, auch wirklich wissen wovon sie reden!

die misstrauische Rowena :winke:

http://www.der-mobber.de/anigif-Dateien/anigif-comics/bugsy.gif
 
na aber Hallo

Hinwendung zum "mittelalterlichem Hokus Pokus",
geschiet doch aber durch die vielen Varianten
der Falschinformation durch Akademiker, oder ?
Und die Unzufriedenheit, durch die Wirkung, die
so wohlgepriesene "Neuerkenntnisse" haben.

Ergo sucht der Mensch sich selbst, was er meint,
was im gut tut.

Und, ich meine nicht "Dich" mit den Akademikern, mein
kleines Mimöschen.:winke:
lg Angi
 
dein Senf

ein "gesundes", sprich begründetes misstrauen im sinne einer kritischen haltung ist nicht nur legitim, sondern sogar wünschenswert! es gibt heutzutage ohnehin zu viele unkritische und denkbequeme menschen... man soll sich immer die qualifikation eines experten ansehen (viele sind ja nur pseudoexperten). und was die diversen "dogmen" betrifft - das einholen einer zweit- oder drittmeinung kann nie schaden! dann zeigt sich, dass sich viele als mythen entpuppen...
lg, kurt
 
A

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Re: "Die Wahrheit"
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