Hallo Styles
Per Ferndiagnose ist eine solche Frage nicht eindeutig zu beantworten, dementsprechend kann man für den Anfang nur einige Anregungen geben bzw. Fragestellungen aufwerfen, mit denen du dich – entweder mit uns bzw. anderen oder alleine – auseinandersetzen kannst.
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Fürs erste ist es durchaus sinnvoll dein Training zu überdenken bzw. anzupassen, gerade wenn man das Thema Muskelaufbau als Ziel hat. Das geht aus deinem Post nicht eindeutig hervor, ist aber für eine dauerhafte Fettgewebsreduktion bei der man auch noch normal essen möchte, der optimale Weg. Wenn man über längere Zeit ähnlich trainiert und zu wenig neue Trainingsreize setzt passt sich der Körper seinen Bedürfnissen entsprechend an, indem er energiesparend arbeitet (die Evolution ist noch nicht im Industriezeitalter angekommen), d.h. er kommt trotz Sport mit weniger Energie aus, als man denkt.
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Zum zweiten schadet es nie, sich ab und an mal gründlich vom Arzt durchchecken zu lassen. Dabei kann man auch Parameter testen lassen, die nicht unbedingt zur Standarduntersuchung im Krankheitsfall gehören. In einem Fall wie deinem würde ich auf die Schilddrüsenfunktion hinweisen. Falls eine Unterfunktion besteht könnte dies das Abnehmvorhaben erschweren. Solange allerdings keine Verdachtsdiagnose (z.B. durch starke Müdigkeit, Kälteempfinden, Kropfbildung, Vorkommen in der Familie) durch den Arzt vorliegt wäre dies auf Selbstzahlerbasis, das müsstest du mit deinem Hausarzt abklären und selbst entscheiden. Soweit ich weiß liegt dies aber noch im zweistelligen Eurobereich, je nach Abrechnungsvorgehen der Praxis.
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Der Ernährungsteil ist schon komplexer. Du hast dich jetzt offensichtlich über längere Zeit mit deiner Ernährung und auch Kalorienbedarf und –angaben beschäftigt (der Grundumsatz ist korrekt, laut WHO-Formel liegt er bei 1920kcal/Tag, also knapp in der Mitte der verschiedenen Werte) und man könnte davon ausgehen, dass dies fehlerfrei vonstattengegangen ist. Theorie und Praxis sind aber in aller Regel zweierlei, deswegen würde ich dennoch einige Erfahrungswerte in Fragen verpackt einbringen:
- Waren die Portionen gewogen/gemessen oder geschätzt?
-> gerade bei hochkalorischen Lebensmitteln, wie z.B. Nüssen/Öl/Butter/Mandelmus etc. ist dies durchaus berechtigt, weil man sich wirklich schnell verschätzt. Meistens wird es unterschätzt. Öl ist da ein Praxisbeispiel: wenn ich normal koche kommen bei einem Spritzer gut man 4 EL zusammen, was dann man eben knapp 500kcal ausmacht, die man nicht bemerkt. Nüsse und Samen sind ähnlich, kleine Handvoll - große Handvoll -> großer Unterschied, gerade bei Knabbereien. Obst und generell Lebensmittel, die als gesund gelten werden prinzipiell gern unterschätzt, weil man gesund häufig mit kalorienarm assoziiert. Portionen im Allgemeinen auch.
- Welche Getränke sind für dich normal? Sind sie eingerechnet?
- Kommen Nahrungsergänzungsmittel, wie z.B. Proteinshakes hinzu?
- Hast du Zucker generell weggelassen, oder nur den normalen Haushaltszucker, und diesen z.B. durch Agavendicksaft, Fruchtzucker, Vollrohrzucker, Honig, Zuckeralkohole (z.B. Xylit) o.ä. ersetzt?
Das sind praktisch die Standardfragen, die ich in solchen Fällen stelle und oftmals zeigen sich ein oder mehrere Stolpersteine, die gar nicht wahrgenommen wurden. Hab ich auch selber: ich trinke meine Milch mit Kaffee, und wenn ich 3l am Tag davon wegtrinke bemerke ich dies oftmals nicht, gerade wenn ich Stress habe. Das Kalorienkonto speichert aber alles
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Der letzte Teil, aber bei weitem nicht der unwichtigste ist der psychologische Anteil am Thema. Die Ernährungspsychologie unterscheidet grob drei Personengruppen. Zum einen die gesunden, die nach Lust, Laune und Bauchgefühl essen, und dabei ihr Gewicht im Allgemeinen halten und weitestgehend fit sind; die Krankheitsfälle, wie z.B. Anorexia nervosa, Bulimie, Binge-eating disorder etc.; und eine dritte Gruppe die praktisch ein Zwischending darstellt. Nicht wirklich mit (psychologisch) gesundem Essverhalten gesegnet, aber auch nicht krank im eigentlichen Sinne.
Zwei Arbeitsgruppen haben sich hauptsächlich damit beschäftigt, die eine nannte sie restrained eater, oder gezügelte Esser, die andere schlicht latent Übergewichtige. Damit gemeint sind Menschen, die versuchen rein durch Vernunft und rationales Essverhalten ihr Gewicht in einem bestimmten Maß zu halten oder eben zu reduzieren, also praktisch die Dauer-Diäthaltenden. Interessant bei dieser Betrachtung ist, dass diese Menschen nicht schlanker und gesünder sind als die erste – ernährungspsychologisch gesunde –Gruppe, wie man es annehmen sollte, da ja das gesellschaftliche Paradigma lautet, dass man mit genügend Disziplin und Vernunft jedes Ziel erreicht. Oftmals ist das genaue Gegenteil der Fall.
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Grund hierfür ist eine im verständliche Diskrepanz zwischen:
- Biologischen Grundbedürfnissen, oftmals auch Triebe genannt, sprich Essen und Flüssigkeitsaufnahme. Im weiteren Sinne auch Sexualität (erklärt so manch deppertes Verhalten, was wir alle ab und zu an den Tag legen). Auch wenn wir uns einreden, dass wir das kontrollieren können, wir können es nicht wirklich, bzw. nur unter extremer zwanghafter Anstrengung, irgendeiner Art der Bewusstseinsveränderung (meditierende Mönche oder mancherlei Anwendung psychoaktiver Substanzen), oder Ersatzhandlungen, die auch auf Dauer i.d.R. nicht zielführend sind. Prinzipiell sind die Biologie und auch das Unterbewusste, was ihr unterstützend zur Seite steht immer stärker wenn wir uns etwas verkneifen, was uns eigentlich gut fühlen lässt.
- Der extreme Überfluss und die Wahnsinnsauswahl – Verzicht unter diesen Umständen ist schwer, es sei denn wir verbinden damit dauerhaft und für unser Unterbewusstsein glaubhaft etwas sehr positives.
- Einflüsse auf das Ernährungsverhalten, welche uns im Normalfall nicht bewusst sind. Z.B. Kultur: was isst wer, wann und unter welchen Umständen? Das ist in Sri Lanka anders als in Deutschland, und das ist wieder anders in Schleswig-Holstein als in Schwaben oder auch in Familie A im Vergleich zu Familie B. Gewohnheit: wer von Kindheit an Fleischesser ist, wird es schwerer haben sich z.B. dem Wunsch des Partners fügen und weitestgehend verzichten. Soziokulturelle Gegebenheiten: klassisches Geschenk: Pralinen und Schnaps, Popcorn im Kino, Grillabende die etwas gehaltvoller ausfallen, Soziale Unterschiede und Gewohnheitsbildung: in reicheren Klassen herrscht eher eine gesunde Ernährung vor als in ärmeren, finanzielle Mittel: Lebensmittelauswahl, Alltagseinflüsse: keine Zeit = Fast Food oder gut belegte Stulle ohne großartig zu kauen heruntergeschlungen soziokulturelle Handlungsweisen: sagt man nein beim Büroessen oder doch lieber ja…, und verzichtet man auf das Gläschen Bier, wenn die anderen es nicht tun? Geschmack: schmeckt´s oder ist´s nur Nahrungsaufnahme? Geschmack-Erinnerungs-Assoziation: Pfannkuchen von Oma, die immer beruhigt haben…dergleichen könnte man noch einige mehr aufzählen. Aber alle haben ihren Einflussanteil.
- Das gesellschaftliche Ideal: Ist das Ziel was man verfolgt diesem Ideal geschuldet oder macht man es, weil man sich selbst besser fühlen will? Und fühlt man sich besser einfach weil es dann so ist oder weil man eher dem Ideal entspricht? Ebenso das mögliche gegenteilige Verhalten: macht man etwas weil man sich damit besser fühlt oder weil man doch irgendwo gegen eine Norm protestieren will? Gibt´s alles, ist aber für jeden persönlich eine wichtige Frage.
- Und die vielen, ausgiebigen, sich teilweise widersprechenden und oftmals alltagsuntauglichen Ratschläge um dieses Ideal zu erreichen. Jetzt mal ernsthaft: welcher Mensch verzichtet auf Kohlenhydrate, wenn es nicht der Wunschkörperform, oder – in wesentlich selteneren Fällen dem Zweck der gewünscht verbesserten Gesundheit dienen würde? Ich würde mal behaupten, dass dies kein einziger tun würde. Der Mensch ist Allesfresser und Kohlenhydrate sind Energielieferant Nr. eins, unser Gehirn liebt sie. Punkt.
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Biologie + Unterbewusstsein + Gewohnheiten + kulturelle Einflüsse + Geschmack + Assoziationen + absolut freier Zugang zu allem was unser Gehirn gerne mag
vs.
Wunsch nach Ideal + Vernunft
gegenübergestellt ein unfairer Kampf, dementsprechend in vielen Fällen auch nicht ohne weiteres umsetzbar. Die bekannten Folgen sind:
- Heißhungerattacken
- „jetzt-ist´s-eh-egal“-Situation, nachdem man sowieso schon mehr gegessen oder getrunken hat als man sich eigentlich vorher zugestanden hat.
Beides kann dazu führen, dass man auf eine bestimmte Zeiteinheit mehr Energie aufnimmt als man denkt. Es kommt letztendlich nicht darauf an, was man an einem Tag einspart oder zu viel isst, sondern was über eine Gesamtzeitspanne rauskommt. Ist die Energiebilanz positiv nimmt man zu, ist sie negativ nimmt man ab, ist sie +/- 0 bleibt´s wie es ist. Ob besagte Ausführungen auf dich zutreffen weiß ich nicht. Es kann durchaus sein, dass ich das Ganze umsonst getippt habe. Solltest du dich aber beim Thema wiederfinden ist es durchaus ratsam, dich mal in Ruhe damit zu beschäftigen. Vernunft ist nicht alles, auch wenn es öfter so propagiert wird.
Grüße
Maria