Unter normalen physiologischen Bedingungen wird Muskeleiweiss nicht zur
Energiegewinnung herangezogen. Mit anderen Worten, die Befürchtung vieler
Athleten, ihre aufgebaute Muskelmasse wieder zu "verlieren", wenn sie nicht eine
bestimmte Ernährung befolgen, ist unbegründet. Im Gegenteil, gerade in der Zeit
zwischen den Trainingseinheiten, also in der Regenerationsphase, erfolgt die
Superkompensation, sprich nicht nur die Kompensation der bei intensivem Training
bedingten vorübergehenden katabolen Stoffwechselsituation, sondern eine
anabole Reaktion sogar darüber hinaus als physiologische Adaptation auf den
gesetzten Trainingsreiz. Diese Superkompensation bedeutet u.a. auch eine
Proteinneusynthese und somit Muskelaufbau, der auch bei konventioneller
Nahrungszufuhr gewährleistet wird.
Für eine Muskelhypertrophie ist in erster Linie das Setzen entsprechend effektiver
Trainingsreize entscheidend, die Ernährung hat nur unterstützende Wirkung. Somit
darf ihre Bedeutung nicht überbewertet werden, wie es erfahrungsgemäss im
Bodybuilding der Fall ist.
Homöostase der Aminosäuren und Transport zwischen den Organen
Das Blut transportiert die AS zwischen den einzelnen Organen. Dabei wird der
unregelmässige, "stossartige" AS-Zustrom nach der Nahrungsaufnahme durch
Regulationsmechanismen ausgeglichen, sodass immer ein gleichmässiger
Blutspiegel an AS resultiert. Das Zentrum für diese Regulation ist die Leber, die
Schwankungen der AS-Konzentration im Blut mittels Abbau und Umbau von AS
sowie durch Proteinsynthese ausgleicht.
Der Proteinstoffwechsel wird durch die aktuelle Verfügbarkeit von AS und durch
hormonelle Regelkreise geregelt. Das Muster an Plasma-AS zeigt keine
Proportionalität zum AS-Muster der Nahrungsproteine und Gewebeproteine, das
hängt mit Unterschieden im Stoffwechsel und im Transport der einzelnen AS
zusammen. Bereits bei der Resorption werden z.B. die Dicarbonsäuren
Glutaminsäure und Asparaginsäure zum größten Teil metabolisiert, sodass im
Pfortaderblut wenig Dicarbonsäuren und mehr Glutamin und Asparagin vorhanden
sind.
Die Leber gibt v.a. verzweigtkettige AS (Valin, Leucin, Isoleucin) ab, die sich dann
in der Skelet- und Herzmuskulatur sowie im Gehirn und der Niere anreichern. Damit
wird ersichtlich, dass die verzweigtkettigen AS eine grosse Bedeutung für den
Muskelstoffwechsel haben. In der Postabsorptionsphase kommt es zu einer
Freisetzung von v.a. Alanin und Glutamin aus der Muskulatur, gleichzeitig nimmt
die Leber und der obere Verdauungstrakt AS auf. Letzterer nimmt Glutamin auf
und setzt dafür Alanin frei. Dieses, wie auch das von der Muskelzelle freigesetzte
Alanin, wird von der Leber aufgenommen. Die Leber nimmt auch Glutamin aus der
Muskulatur auf, weiters alle anderen glukoplastischen AS. Auch die Niere nimmt
Glutamin auf und kann diese zur Gluconeogenese verwenden. An der Regulation
des absorptiven und postabsorptiven Aminosäureflusses sind die Peptidhormone
Insulin und Glucagon beteiligt. Manche AS, v.a. Arginin und die verzweigtkettigen
AS stimulieren die Insulinsekretion. Andere AS wie Asparagin, Glycin, Serin und
Cystein stimulieren die Sekretion von Glucagon. Insulin fördert u.a. die Aufnahme
von AS in die Muskelzellen und damit die Muskelproteinsynthese. Glucagon
hingegen fördert die AS-Aufnahme in die Leber und stimuliert die Gluconeogenese.
Beide Hormone verhindern somit einen übermässigen Anstieg der Plasma-AS nach
ihrer Resorption, wodurch unnötige Verluste über den Harn vermieden wird.
Die Regulation des Proteinstoffwechsels
Der Proteinstoffwechsel reguliert die Proteinmengen der verschiedenen
Körperkompartimenten:
1. Die aufgenommenen Aminosäuren (AS) werden dem Aminosäurepool zugeführt
und zum Teil für den Neuaufbau körpereigener Proteine verwendet. Ein Teil der AS
im AS-Pool stammt aus dem katabolen Stoffwechsel der Gewebeproteine, auch
diese AS können für die Proteinneusynthese verwendet werden.
2. Ein Teil der AS im AS-Pool unterliegt dem katabolen Stoffwechsel. Nach
Desaminierung wird das Kohlenstoff (C)-Gerüst letztendlich zu CO2 und H2O unter
Freisetzung von Energie oxidiert oder durch Umwandlung als Glykogen oder Fett
gespeichert. Aus dem AS-Stickstoff entsteht Harnstoff.
3. Einige AS werden für die Synthese verschiedener stickstoffhältiger
Verbindungen herangezogen, wie Kreatin und Purinbasen. Deren typischen
stickstoffhältigen Ausscheidungsprodukte sind Kreatinin und Harnsäure. Weiters
können durch Übertragung von Aminogruppen anderer AS auf ein im
Intermediärstoffwechsel gebildetes C-Gerüst nicht essentielle AS hergestellt
werden.
Der Aminosäure-Pool und seine Regulation
Die mit der Nahrung aufgenommenen Proteine werden im Verdauungstrakt
hydrolysiert und in Form von freien AS resorbiert, also in den Blutkreislauf
aufgenommen und gelangen in weiterer Folge in interstitielle (Bindegewebe) und
intrazelluläre Speicher. Nur 0.05% aller im Körper vorkommenden AS liegen in freier
Form vor.
In den Zellen liegt eine viel höhere Konzentration an AS als im Plasma vor. Die
höchste Konzentration von z.B. Glutamin findet sich in den Muskelzellen. Die
Zusammensetzung der freien AS in den verschiedenen Geweben ist
unterschiedlich. Darüber hinaus variiert die Zusammensetzung des AS-Pools als
auch die Konzentration einzelner AS von Spezies zu Spezies. Deshalb ist es auch
nicht zulässig, Daten aus Tierversuchen auf den Menschen zu übertragen.
Die Skelettmuskulatur ist das grösste Reservoir für jede AS. 70-80% des freien
AS-Pools befinden sich in der Muskulatur, während die freien AS im Plasma nur
einen geringen Anteil am Gesamtpool haben. Eine genaue Aussage über
Veränderungen des freien AS-Pools oder über intrazelluläre AS-Konzentrationen
ist über die im Plasma vorhandene Konzentration nicht möglich. Die Grösse des
intrazellulären AS-Pools ist jedoch direkt messbar. Nicht nur die Ernährung, auch
Alter, Geschlecht sowie Krankheit sind Faktoren, die die Zusammensetzung des
freien AS-Pools beeinflussen.
Der Proteinumsatz
Unter Proteinumsatz versteht man sowohl die Synthese als auch den Abbau von
Proteinen. Normalerweise besteht ein "steady state", also ein Fliessgleichgewicht
und die Syntheserate hält sich mit der Abbaurate die Waage.
Wenn wir von einem ca. 70 kg schwerer Mensch in den westlichen
Industriestaaten ausgehen, so führt dieser eine Proteinmenge von ca. 100 Gramm
Protein pro Tag zu. Dazu kommen noch ca. 70 Gramm Eiweiss, die vom Darm
sezerniert werden. Von diesen 170 Gramm Protein werden ca. 160 Gramm
resorbiert, der Rest wird mit dem Stuhl ausgeschieden.
Der durchschnittliche Umsatz (turnover) an Körperprotein beträgt 300 - 400
Gramm pro Tag. Die Differenz zwischen Proteinzufuhr und -umsatz beweist die
Wiederverwertung der im Proteinstoffwechsel freigewordenen Aminosäuren. Der
hohe Proteinumsatz wird vor allem durch die tägliche Erneuerung der Zellen der
Darmschleimhaut, den Muskelstoffwechsel, dem Ab- und Aufbau von
Plasmaproteinen sowie auch von der Bildung von Hämoglobin und der weissen
Blutkörperchen bestimmt. Er hängt natürlich auch vom Ernährungszustand ab und
kann zur Beurteilung einer Unterernährung herangezogen werden (Plasmaproteine
mit hoher Umsatzrate wie z.B. Präalbumin).
Der Proteinstoffwechsel ist natürlich auch von den im AS-Pool verfügbaren
Aminosäuren abhängig. Theoretisch sind im Gesamtkörperpool ausreichend freie
AS für eine 8-stündige, normal ablaufende Proteinsynthese vorhanden. Allerdings
bestehen Unterschiede in der Verfügbarkeit einzelner AS, die bei der Berechnung
des wahren Protein-Turnovers berücksichtigt werden müssen. Die limitierenden AS
in den Zellen sind die verzweigtkettigen und die aromatischen AS. Eine
kontinuierliche Proteinsynthese ist somit nur durch die Kompensation zwischen
den verschiedenen Geweben möglich.
Stickstoffausscheidung und Stickstoffbilanz
Die Endprodukte des Stickstoffmetabolismus werden mit dem Urin ausgeschieden.
Nicht resorbierbares Nahrungseiweiss und ein kleiner Teil der in den Darm
sezernierten Proteine (siehe oben) werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Auch
mit Hautpartikeln, Haaren, Sperma und Menstruationsblut verliert der Körper
geringe Mengen an Eiweiss-Stickstoff. Im Urin findet sich Stickstoff vor allem als
Harnstoff (80 - 85% des gesamten Stickstoffs), aber auch als Kreatinin,
Ammoniak und Harnsäure. Bei einer verminderten Proteinaufnahme verringert sich
auch die Harnstoffmenge im Urin.
Ernährung und Proteinstoffwechsel
Der Mindestbedarf an Protein kann geschätzt werden, indem die gesamten
Stickstoffverluste während einer proteinfreien Diät gemessen werden. Es wird
angenommen, dass diese Verluste dem Bedarf entsprechen. Dabei gehen die
Faktoren des obligatorischen täglichen Stickstoffverlustes (Harn: 37mg/kg, Stuhl:
12mg/kg, Haut 5-8mg/kg, sowie andere kleine Verluste) in die Berechnung mit ein.
Insgesamt ergibt sich ein täglicher Verlust von 54mg Stickstoff bzw. 340mg
Protein pro kg Körpergewicht. Entsprechend der 1985 von der WHO
vorgeschlagenen 30%igen Erhöhung der Proteinzufuhr errechnet sich somit eine
Mindestmenge von 450mg, also 0.45 Gramm pro kg Körpergewicht. Diese
Empfehlung wird heute von den meisten nationalen und internationalen
Kommissionen bestätigt.
Eine andere Möglichkeit, den täglichen Proteinbedarf abzuschätzen, ist die
Ermittlung der Menge an Proteinstickstoff, die gerade noch für eine ausgeglichene
Stickstoffbilanz sorgt. Von allen untersuchten Proteinen wurde hiefür die gleiche
Menge, nämlich 0.4 g/kg benötigt (ausgenommen das minderwertige
Weizengluten, wovon 0.66 g/kg nötig war).
1985 wurde von der WHO der Begriff des "safe intake" geprägt, also die Sicherung
einer ausreichenden Versorgung mit Aminosäuren, nachdem in Studien die
Mindestmenge eines hochwertigen Proteins zur Erhaltung einer ausgeglichenen
Stickstoffbilanz direkt ermittelt wurde. sie betrug für den jungen Erwachsenen 0.6
g/kg Körpergewicht. Durch einen "Sicherheitszuschlag", der individuelle
Schwankungen ausgleichen sollte, erhöht sich der "safe intake" auf 0.75 g/kg.
Auch für alle anderen Altersstufen wurden auf diese Weise der Mindestbedarf an
Protein festgelegt. Den höchsten Proteinbedarf hat ein Säugling im ersten
Lebensmonat mit 2.4 g/kg. Mit zunehmendem Alter verringert sich der
Proteinbedarf, wobei der Bedarf älterer Menschen noch nicht ausreichend
erf*****t ist. Erwachsene verlieren zwischen dem 25. und 65. Lebensjahr ca.
20% ihres Körperproteins, das entspricht dem Verlust von ca. ein Prozent der
bestehenden Muskelmasse pro Jahr. Ob sich durch Proteinzufuhr der
Alterungsprozess verlangsamen lässt, ist noch unklar. Eines steht jedoch fest: Ein
Abbau von Muskelmasse kann mittels regelmässiger körperlicher Aktivität und v.a.
durch Krafttraining verhindert werden, selbst in höherem Alter.
Die Proteinqualität
Nährstoffanalysen und Nährwerttabellen geben den Proteingehalt in Gramm pro
100 Gramm Nahrungsmittel an. Daraus lässt sich auch der Energiegehalt des
Proteinanteils bezogen auf den Gesamtenergiegehalt des Nahrungsmittels
errechnen (1 g Protein liefert ca. 4.2 kcal). Eine ausgewogene Ernährung sollte 10
bis 15% der Energie in Form von Protein liefern. Allerdings sagt die Angabe des
Proteinanteils eines Nahrungsmittels allein nichts über dessen Qualität aus.
Man kennt heute die Menge an essentiellen AS eines Nahrungsproteins, die für
eine vollständige Verwertung dieses Proteins zur Synthese von Körperprotein
notwendig ist. Dieses sog. AS-Referenzmuster dient als Standard zur Beurteilung
der Qualität von Nahrungsproteinen. Kennt man den Gehalt eines Proteins an
essentiellen AS, kann man dessen "Nährwert" gut abschätzen. Vereinfacht
ausgedrückt, kann man sagen, dass ein Protein biologisch umso hochwertiger ist,
je mehr essentielle AS es enthält.
Die biologische Wertigkeit gibt an, wieviel Gramm Körpereiweiss durch 100 Gramm
Nahrungsprotein aufgebaut werden kann. Anders ausgedrückt, wieviel vom
resorbierten Protein im Körper "behalten" wird. Wenn man die Verdaulichkeit
ausser acht lässt, misst man also das zurückbehaltene Protein im Verhältnis zum
verzehrten Protein. Diesen Index nennt man NPU = "net protein utilization".
Angaben zur biologischen Wertigkeit der Nahrungsproteine finden sich anhand
einschlägiger Tabellen. Eiprotein dient als Referenzprotein und hat die biologische
Wertigkeit von 100, gefolgt von Milch und Fleisch usw. Tierisches Protein ist
prinzipiell biologisch hochwertiger ist als pflanzliches. Die Steigerung der
biologischen Wertigkeit über 100 durch Kombination von Nahrungsmitteln
(klassisches Beispiel: Ei plus Kartoffel) ist aber nur theoretischer Natur - mehr als
eine 100%ige Verwertung von Nahrungsprotein ist nun mal nicht möglich! Beim
Erwachsenen wird die Proteinqualität anhand der Stickstoffbilanz beurteilt, bei
Kindern anhand von Stickstoffretention und Wachstum bzw. Gewichtszunahme
(PER = protein efficiency ratio). Dieser Wert kann aber durch Fett- oder
Wassereinlagerung verfälscht werden.
Die Verfügbarkeit von Aminosäuren aus der Nahrung
Die biologische Verfügbarkeit von Aminosäuren kann unter Umständen niedriger
sein, als die Ergebnisse der biochemischen Analysen erwarten lassen.
Hitzebehandlung, Lagerung und beeinträchtigte Proteinverdauung können sie
verringern. Chemische und physikalische Reaktionen können einen Verlust an
essentiellen AS bedingen und deren Verwertung durch ein Übermass an anderen
AS beeinträchtigt werden. Dieses "Zuviel" kann zu Effekten führen, die sich in
Toxizität, Antagonismus und Imbalanz einteilen lassen.
Unter "Aminosäuretoxizität" versteht man negative Auswirkungen der
Überdosierung einzelner AS. Die "toxische" Dosis hängt von der einzelnen AS ab,
die höchste Toxizität haben Methionin und Tyrosin. "Aminosäureantagonismus"
bedeutet die Wechselwirkung strukturähnlicher AS, wenn eine durch den
Überschuss einer AS bedingte Wachstumsminderung durch Zufuhr der anderen AS
gemindert werden kann. Dies betrifft v.a. die verzweigtkettigen AS Valin, Leucin
und Isoleucin.