Jojo-Syndrom, Setpoint und Weinsier-Studie

chianti

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Viele Übergewichtige und Diät-geplagte kennen das Jojo-Sydrom - den mittel-bis langfristigen Wiederanstieg des Gewichts nach einer Reduktionsdiät. Neben Erklärungen wie Lebensstil bzw. nicht erfolger Ernährungsumstellung gibt es auch den Ansatz des "Setpoints", unter dem allerdings im populären Sprachgebrauch etwas anderes verstanden wird als das, was als wissenschaftliche Hypothese diskutiert wird:

"Setpoint, wissenschaftliche Hypothese": Der Körper versucht durch Anpassungen im Stoffwechsel, insbesondere durch dauerhafte Reduktion des Grundumsatzes (resting metabolic rate, RMR), sein Ausgangsgewicht zu halten bzw. wieder zu erreichen. Dies führt zum Jojo-Effekt und sogar zur langfristigen Zunahme selbst bei kalorienreduzierter Ernährung.

"Setpoint, populär": Das "persönliche" Körpergewicht ist (genetisch oder wie auch immer) in einem bestimmten Rahmen "festgelegt". Kalorienreduzierte Diäten können daran nur kurzfristig etwas ändern, der Körper pendelt sich wieder um den "Setpoint" ein.

Am Beispiel der in diesem Forum öfters zitierten Studie von Weinsier et al wird das besonders gut deutlich (Roland L Weinsier, Tim R Nagy, Gary R Hunter, Betty E Darnell, Donald D Hensrud and Heidi L Weiss : Do adaptive changes in metabolic rate favor weight regain in weight-reduced individuals? An examination of the set-point theory - American Journal of Clinical Nutrition, Vol. 72, No. 5, 1088-1094, November 2000), nachzulesen unter http://www.ajcn.org/cgi/content/full/72/5/1088)

Es wurden 24 übergewichtige (BMI 26,1-29,7), "glukosetolerante" (d.h. mit normaler Insulinreaktion) weiße Frauen im Alter von 49 bis 67 Jahren, die alle mindestens einen übergewichtigen Verwandten ersten Grades hatten, mit genausovielen Frauen mit BMI 19,7-22,9 verglichen, die keinen übergewichtigen Verwandten hatten. Alle waren Nichtraucherinnen und hatten ihre Menopause hinter sich, waren also nach den Wechseljahren.

Nach einer "Abspeck"phase von 12-20 Wochen (Gewichtsreduktion 0,7-1,2 kg pro Woche !!!) war der mittlere Gewichtsverlust 12,9 kg (11,5-20,2 kg) und der BMI zwischen 21,5 und 24,5. Während der Grundumsatz in der Abspeckphase absank (genaueres im o.g. Artikel), stieg er danach wieder auf ein Niveau, das sich nicht signifikant von dem der normalgewichtigen Vergleichsgruppe unterschied.

=> wissenschaftliche Setpoint-Hypothese widerlegt: "Even after months of energy restriction, RMR normalized within 10 days of energy balance, as reflected by a return to the euthyroid state. The results also suggest that adaptive down-regulation of RMR is not a characteristic of weight-reduced individuals and does not explain their weight-regain tendency. The weight-gain tendency of obesity-prone persons appears to be caused by factors other than variations in metabolic rate." - zumindest für den beschriebenen Personenkeis (wieviele Forumels dürften ebenfalls ihre Wechseljahre hinter sich haben?) Auch bei BMI > 30 könnte es wieder anders aussehen: "it is possible that greater amounts of weight loss among more severely obese persons may be associated with metabolic adaptations not observed in this study."

Nach 48 bis 52 Monaten hatten nur zwei ehemals übergewichtige Frauen ihre Gewichtszunahme unter 2 kg halten können. Die Gewichtszunahme bei den anderen betrug zwischen 5 und 26 (sechsundzwanzig!) kg (Mittelwert: 11,7kg), in der Vergleichsgruppe nahmen die Frauen zwischen 2kg ab und 7kg zu (Mittelwert: 1,7kg Zunahme) - bei normalem BMI. Die Gewichtszunahme der ehemals (und wieder) übergewichtigen Frauen war nicht auf einen verringerten Grundumsatz zurückzuführen, eher korrelierte die Zunahme leicht (r=0,27) mit einem höheren Grundumsatz (allerdings mit einem zu niedrigen Signifikanzniveau: P=0,24 bedeutet, dass diese Beobachtung nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 76% nicht auf einen Zufall zurückzuführen ist). Ihr durchschnittlicher BMI fiel von 28 auf 23 und stieg nach 4 Jahren wieder auf 27.

=> Jojo-Sydrom und populäre Setpoint-"Erklärung" bestätigt
 
Irrtum!

hallo chianti,
du wärmst alte sachen auf. die weinsier-studie habe ich schon mindestens dreimal hier präsentiert und über den jojo-effekt wurde schon endlos diskutiert.
du irrst, wenn du die populäre setpoint-hypothese bestätigt siehst. das einzige, was bestätigt ist, sind die gesetze der thermodynamik und damit der energiebilanz.
wer nach erfolgreichem "abspecken" auf eine eine ausgeglichene energiebilanz achtet, wird kein gramm fett zunehmen.
das "problem", dessen viele sich nicht bewusst sind, ist der umstand des sinkenden energieumsatzes und damit auch -bedarfes mit zunehmendem alter. wer dem nicht bei der energiezufuhr rechnung trägt, braucht sich nicht über eine positive energiebilanz zu wundern (das ist der grund, warum man im lauf des lebens auch bei gleichbleibendem gewicht immer "fetter" wird, da die LBM abnimmt).
und wer nach erfolgreicher gewichtsreduktion wieder so isst wie vorher, darf sich erst recht nicht wundern. mit einem "jojo-effekt" oder einem "setpoint" hat das jedenfalls nichts zu tun!
gruß, kurt
 
perpetuum mobile

Schenkt man den poplärwissenschaftlichen Beobachtungen Glauben, dann wäre der Mensch nach hinreichend vielen Diäten ein perpetuum mobile, welches irgendwann ganz ohne Energie auskommt. Das Energiesparpotential des Menschen wird allzu oft überschätzt. Wenn wir die geringere postprandiale Thermogenese und die Reduzierung der körperlichen Aktivität durch fehlende Motivation zum Sport in solchen Phasen rausrechnen, dann bleibt von der Drosselung des Engergiebedarfs, die nur durch die Reduzierung der Energieaufnahme aufgegklärt wird, nicht mehr allzu viel übrig. Außerdem ist dieser Vorgang vollständig reversibel, aber das wurde ja schon erwähnt. Auch die verlorene Muskelmasse kommt wieder, wenn man wieder so lebt, wie zuvor. Das soll nun kein Plädoyer für Crashdiäten sein, aber es ist immer wieder zu beobachten, dass Menschen, die ihr Ess- und Bewegungsverhalten nicht selbst in den Griff bekommen, dies auf äußere Faktoren zurückführen und entsprechend scheitern müssen.

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Re: Irrtum!

Hallo,
da muß ich jetzt gleich nachfragen:
1) also die LBM nimmt nicht ab, weil wir im Alter hemmungslos fressen, sondern einfach weil die Jahre vergehen und das in unser genetisches Programm wie das Ablaufdatum eingebaut ist?

2) und von dieser Verringerung der LBM gehen auch die Berechnungen der Fettmeßgeräte aus, die mir immer bei ehrlicher Altersangabe mehr Fett% ausspucken, als bei weggeschummelten 5 Jahren?

und
3) man kann auch mit Kraftraining nicht wirklich was an der mit zunehmendem Alter schwindenden LBM ändern?

das sind ja deprimierende Einsichten für den Jahresanfang!
lG tina

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Re: Irrtum!

Hallo Tina,

zu 1) Das ist im Kern richtig. Meistens ist es aber so, dass unser Grad der körperlichen Aktivität abnimmt und wir nicht weniger essen, d.h. nicht nur die Muskelmasse geht altersbedingt zurück, sondern unsere Energiebilanz positiviert sich zunehmend, wenn wir unsere Ernährung und unsere körperliche Aktivität nicht daran anpassen.

2) Das ist das Problem der doppelt indirekten Methoden. Der Körperfettanteil wird ausgehend vom Messstrom und der statistischen Daten, die du eingibst, ermittelt. Gibst du andere Daten ein, erhältst du auch ein anderes Ergebnis. Im Grunde genommen dürfte das Gerät aber nicht mehr anzeigen, wenn du mit den Jährchen schummelst.

Es ist vielmehr so, dass der Idealwert mit zunehmendem Alter mitwächst. Als 18-jähriger Hüpfer hast einen anderen idealen Körperfettanteil als eine rüstige 75jährige Dame. Du wirst wohl irgendwo dazwischen liegen :).

3) Krafttraining vermag natürlich den altersbedingten Muskelabbau zu kompensieren. Leider gibt es zu wenige Übervierziger, die Krafttraining etwas positives abgewinnen können. Fakt ist: Wenn wir mehr Kraftsportler in der Altersklasse 40+ haben, dann haben wir sicher auch weniger ältere Übergewichtige.
Gruß,
Thomas

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Da bin ich aber froh,

lieber Thomas.
daß ich mit meinen knapp 52 Jahren bei 180 cm und 78 kg noch z.Zt. 85kg auf der Flachbank drücke und den Durchschnitt der Altersklasse 50+ ein bischen rausreiße.
Gruß nach Homburg,
Rainer
 
Re: Irrtum!

<<Im Grunde genommen dürfte das Gerät aber nicht mehr anzeigen, wenn du mit den jährchen schummelst. >>

also wenn ich mich von meinen 53 auf 48 hinunterschummle, sind das 2 fett% weniger, ich wüsste nur gerne ob das zu den gesicherten fakten gehört oder ob da nur ein informationsdefizit besteht.
... und übrigens in meinem studio sind vormittags schon recht viele leute gesetzteren alters, die auch teilweise schon recht ordentlich trainieren, nicht nur homöopathisch, könnte diese steigende population die zahlen in der formel des omron handgerätes beeeinflussen?
lg tina


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wieso Irrtum? Weinsier schreibt es selbst!

>> hallo chianti,
du wärmst alte sachen auf. die weinsier-studie habe ich schon mindestens dreimal hier präsentiert und über den jojo-effekt wurde schon endlos diskutiert.

Der Anlass, mir Weinsier mal genau anzuschauen, lag darin, dass in den letzten Wochen vermehrt verallgemeinernde Postings kamen wie "Setpoint gibt es nicht" (ohne die RMR-Einschränkung). Mir lag an der Differenzierung.

>> du irrst, wenn du die populäre setpoint-hypothese bestätigt siehst

ich habe im populären Bereich bewusst nicht den Begriff "Hypothese" gebraucht, da es ja kein Erklärungsmodell darstellt, sondern die Beschreibung bzw. Feststellung einer entsprechenden Wiederzunahme. Dies stellt auch Weinsier et al fest: Obese persons generally regain lost weight ... The weight-gain tendency of obesity-prone persons appears to be caused by factors other than variations in metabolic rate.

>> und wer nach erfolgreicher gewichtsreduktion wieder so isst wie vorher, darf sich erst recht nicht wundern. mit einem "jojo-effekt" oder einem "setpoint" hat das jedenfalls nichts zu tun!

Wie würdest du dann diesen "Mechanismus" benennen (aus https://de.fitness.com/nutrition/articles/jojo_syndrom.htm: "Das JO- JO- SYNDROM, wie Wissenschaftler den Teufelskreis von Diät, kurzfristiger Gewichtsverringerung und erneuter Gewichtszunahme, mit oft sogar ein paar Pfunden dazu, nennen")?

Natürlich ist eine Gewichtszunahme immer auf eine positive Energiebilanz zurückzuführen, die interessante Frage ist aber doch: warum haben fast alle früher Übergewichtigen (die mindestens einen übergewichtigen Verwandten hatten) nach 4 Jahren nahezu ihren vorherigen BMI erreicht, während die Kontrollgruppe (ohne solchen Verwandten) samt und sonders unter BMI 25 blieb? Ist es "familienanerzogene Fresserei"? Ist es genetisch bedingt?

Dass sich mit einer Kalorienzufuhr in der Abspeckphase von ca. 800 kcal/Tag (wie sie im Weinsier-Versuch der Fall war) keine alltagstaugliche Ernährungsumstellung bewerkstelligen lässt, muss man nicht weiter diskutieren. Umso interessanter wäre eine Langzeitstudie, die einen derartigen Ansatz verfolgt. Du kennst nicht zufällig eine?

Gruß

chianti
 
Re: Irrtum!

liebe tina,
über all diese fragen habe ich schon mehrmals gepostet (z.b. dass man/frau ab 25 jedes jahr ca. 1% muskelmasse abbaut, wenn man/frau nichts dagegen unternimmt - deswegen hat das krafttraining auch einen präventivmedizinischen stellenwert).
zu 1: ja
zu 2: genau das ist der grund. die software der fettmessgeräte geht davon aus. wie thomas schon sagte, sollte das gerät nicht beschummelt werden können - leider kann es, wenn man ein anderes alter eingibt.
zu 3: ich habe schon mehrmals hier gesagt, dass man/frau mit krafttraining seine/ihre muskelmasse lange erhalten kann (einmal/woche genügt). aber wer macht das schon? wieviele in deinem bekannten und verwandtenkreis? siehst du - und deshalb gehen die meisten mit fortschreitendem alter "aus dem leim"...
lg, kurt
 
was Weinsier letztlich sagen will...

...ist, dass es die energiebilanz ist, die über unseren körperfettanteil entscheidet - und das ist alles andere als eine neue erkenntnis. auf gut deutsch: von nix kommt nix! (thermodynamik leichtverständlich:winke:) - leider für viele nicht...) (siehe auch dein jojo-thread von heute).
und zum jojo-artikel: ich sagte dir bereits, dass er zu den schwächeren auf dieser webpage gehört.
gruß, kurt
 
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