Freiheit des Willens eine nützliche Illusion?

Hannes

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Hi Folks,

habe mich mit dem thema willen auseinandergesetzt und dabei recht interessante aussagen von wissenschaftlern gefunden.

"wir tun nicht was wir wollen sondern wir wollen was wir tun"

Tatsächlich entdeckte der Neurobiologe Benjamin Libet, dass Versuchspersonen der Entschluss, die Hand zu heben, erst bewusst wird, nachdem ihr Gehirn bereits mit der Vorbereitung der Bewegung begonnen hat. Dem Willensentschluss geht ein Bereitschaftspotential von durchschnittlich 350 Millisekunden voraus. Das bewusste Wollen kann gar nicht die Ursache der neuronalen Aktivität sein, weil es erst nach dem Aufbau des Bereitschaftspotentials auftritt und niemals gleichzeitig mit diesem.

"Das, was wir als freie Entscheidung erfahren, ist nichts als eine nachträgliche Begründung von Zustandsveränderungen, die ohnehin erfolgt wären."

ich verstehe es so, dass der aktuelle zustand des gehirns eine aktion bewirkt, die anschließend als gewünscht akzeptiert wird.

aus diesen aussagen schließe ich, dass es keinen freien willen gibt sondern jede aktion durch den aktuellen zustand des gehirns erfolgt. die eingangsparameter sind die erfahrungen, die eine aktion bewirken. der mensch ahmt prinzipiell einfach nach. von kindheit an. befehle werden ausgeführt. kein kind kommt auf die idee in den kindergarten oder in die schule zu gehen. der permanente hinweis, dass es notwenig ist veranlaßt uns dazu dieser anweisung zu folgen. der eigene widerwillen wird durch die autorität gebrochen. so ist es auch im späteren leben. die gesellschaft gibt vor einen beruf zu erlernen. auch dann sind wir bereit das eigene bedürfnis vielleicht nichts zu tun als falsch zu bewerten. dann gibt uns jemand vor gesund und leistungsfähig zu sein. wir gehen in fitnessstudios und beginnen zu laufen weil es gesund sein soll. wenn man nicht danach handelt, hat man mit dem druck der umwelt zu rechnen. es wird einem praktisch immer gesagt was für einen gut ist. diese tatsache bedingt normalerweise eine programmierung, die eine aktion auslösen kann. bei gewissen umständen kann aber die natürliche reaktion gestört sein. kann man dem menschen vorwerfen, dass er keinen willen hat? woher kommt jetzt der wille? sicherlich nicht aus willen. das wäre absurd. der wille dürfte ein automatismus sein, der eben nicht beeinflußbar ist. angeblich sind gewisse hirnregionen dafür verantwortlich. sind wir nicht biocomputer, die aufgrund der erfahrungen logisch reagieren? positive erlebnisse verlangen nach wiederholung. negative erlebnisse bewirken vermeidung. anstrengung wird normalerweise negativ empfunden. erinnere mich noch an meinen marathonlauf wo es ab km 38 mühsam wurde. bin weitergalufen weil ich mich auf ein finish konditioniert habe. hat man ein ziel, akzeptiert man auch den weg. was ist zu tun wenn man keine ziele mehr hat weil vielleicht alles gewollte erreicht ist? kann man ewig ziele haben? woher kommt der wille zu einem ziel? ein primärinstinkt ist zu überleben. was ist zu tun wenn dieser instinkt aufgrund bestimmter erfahrungen nicht mehr vorhanden ist? kann man diesen durch logische argumentation wieder wach werden lassen? kann man allgemein gegen überzeugungen auftreten? hat schon jemand versucht einem christen seinen glauben auszureden? hat es etwas mit autorität zu tun? angenommen man hält jeden menschen für fehlbar, würde dann ein tipp befolgt? machen wir nicht immer das wonach uns gerade ist? werden wir nicht immer auch durch angst bestimmt? ich rauche und trinke nicht weil es mich krank macht. ich arbeite weil ich nicht verhungern will? angenommen jeder hätte für immer ausgesorgt, würde er dann noch arbeiten gehen? brauchen wirklich alle eine aufgabe? muß es unbedingt arbeit sein, die geld bringt? warum streben wir nach gesundheit? will wirklich jeder alt werden? was bringt uns das leben nach der pension? ruhe? brauchen wir diese ruhe? haben wir die hoffnung, dass wir dann das tun was wir immer wollten? warum nicht schon davor? ist es dann noch möglich? ist es vielleicht besser nie nach dem sinn zu fragen?
das ganze klingt wahrscheinlich unheimlich wirr. es waren aber meine gedanken zu diesem moment.

gruß, Hannes
 
Interessant!

Hallo!

Das ist ein sehr interessantes Thema.

Wenn man jetzt aus der Beobachtung seiner selbst heraus etwas dazu sagen möchte hat man natürlich ein Problem, da man ja, nach der von dir beschriebenen These quasi seine Handlungen durch ein nachgestelltes Wollen vor sich selbst rechtfertigt.
Doch ich würde dennoch unterscheiden wollen (da isses wieder), zwischen einer simplen Bewegung wie dem Heben der Hand und, nennen wir es mal dem kontinuierlichen Prozess des er- und abarbeitens des eigenen Lebensplans. Der Zeitraum zwischen der Entscheidung (oder der neuronalen Bereitschaft) des Hand-Hebens und dem tatsächlichen Heben der Hand dauert vielleicht dies 350 Millisekunden plus noch ein paar Millisekunden bis man den Muskeln dann das Signal gegeben hat. Doch wenn ich mich an einem Scheideweg meines Lebens befinde und ich Wochen oder gar Monate darüber nachdenke, wie ich weitergehen will, dann denke ich, obsiegt der Verstand vor der Konditionierung. Natürlich ertrappt sich jeder immer wieder in Situationen in denen er denkt "Jetzt bin ich schon wie meine Eltern" (Egal ob das jetzt gut oder schlecht ist), doch alleine diese Erkenntnis und das verstandesmässige Auseinandersetzen mit dieser Situation, vielleicht mit dem Ausgang dass man dann schlussendlich gerade nicht das tut was die Eltern getan hätten, ist doch schon ein Indiz für den eigenen Willen der sich durchgesetzt hat. Was ist mit all den Rebellen die sich gegen ihr Elternhaus stellen? Wo haben sie diese Einstellung her? Von ihren Eltern sicher nicht.

Eigener freier Wille ist für mich die Fähigkeit selbst zu entscheiden, was ich mit meinem Leben anstellen will. Das ich, wenn mich ein Insekt stechen will, mich nicht zuerst verstandesmässig dazu entschliessen will meine Hand zu heben und nach dem Viech zu schlagen, finde ich eigentlich ganz gut :winke:.

Natürlich sind wir auch Teil einer Gesellschaft, die mit Regeln und Werten unser Handeln beeinflusst und manchmal auch bestimmt. Doch selbst wenn wir uns innerhalb dieser Regeln bewegen haben wir einen erheblichen Handlungsfreiraum. Und wir können uns immer noch gegen diese Gesellschaft wenden, wenn wir wollen, im "kleinen" (z.B. in dem wir uns eben nicht an die von Medien vorgelebten Werte wie "Schönheit" "Jugend" "Coolness" usw. halten) oder im "großen" (indem wir z.B. kriminell werden). Den Konsequenzen müssen wir uns natürlich jeweils bewusst sein.

Wir sind alle auch Produkte unserer Umwelt und unserer Erfahrungen mit dieser. Das ausblenden können wir nie. Doch ich denke wir können alle prinzipiell selbst entscheiden was wir daraus machen WOLLEN. Das macht den Menschen zu einem intelligenten Wesen, daß nicht nur seinen Instinkten und Konditionierungen folgt, wie ein Tier. (Intelligent heisst natürlich nicht, dass alles was der Mensch tut, sinnvoll ist. Den Gegenbeweis sehen wir jeden Tag in den Nachrichten)

Gruß,

Stephan
 
Es gibt ja auch die These "Wir weinen nicht, weil wir traurig sind - wir sind traurig, weil wir weinen" - Hannes, ich habe es mir abgewöhnt, mir über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen. Ich freue mich, dass ich wieder gelernt habe zu weinen - vor Rührung, vor Freude, vor Schmerz, Trauer, Wut....
Ich freue mich, dass ich Wahlfreiheit habe in meinen Entscheidungen - und welche Entscheidung unter all den Mögichkeiten ich treffe, das bezeichne ich als Freiheit. Der Rest ist für mich eine "Henne oder Ei" Frage und verkompliziert mir das Leben in einem Bereich, wo es für mich nicht notwendig ist.

Ist es für Dich wichtig, bedeutet es irgendwas, ob das Hirn vor "Dir" entscheidet, etwas zu tun? Das tut es pausenlos, Hannes. Ist es nicht eher des Pudels Kern, dass so viele Menschen ein Problem damit haben, dass sie nicht in der Lage sind, mit der Großhirnrinde alles unter Kontrolle zu bekommen - glaub mir, das wäre sowieso unmöglich; ich persönlich genieße es ungemein, dass sich da "wer anderer" um die meisten Sachen kümmert. Ich empfinde es eher als angenehm, so viele "Assistenten" zu haben, dass ich die Hände frei hab für viele Dinge, für die ich sonst keine Zeit hätte!

Hannes: 5% dessen, was wir tun ist uns bewusst. Der Rest nicht! Na und?

Ein ganz ein dickes Bussl!
Meni
 
Na ja...

Sagen wir es mal so: Methodisch hast Du schon den ersten Fehler dahingehend begangen, daß Du zwar über den sogenannten "freien Willen" schreibst, den Begriff jedoch nicht definierst, gleichermaßen aber unter ihn subsumierst. Mal soeben ein Zitat aufzuspießen und daraus dann zu schlußfolgern, ist die rechte Sache nicht.

Seit der Antike versuchen Philosophen und später auch Naturwissenschaftler dem Geheimnis von Geist und Seele auf den Grund zu gehen. Als Kanon zur Beantwortung dessen, was, erstens, Willen ist, was, zweitens, Freiheit ist, emfpehle ich die antiken als auch die die neuzeitlichen Philosophen zu lesen.

Regelmäßig fliegt einem das eigene Weltbild um die Ohren, wenn man sich mit der Sache tiefgründiger befaßt. Letztendlich geht es immer um die Letztbegründetheit: Und dahinter verbirgt sich die Frage nach Gott respektive etwas Absolutem, aber auch der Erkenntnismöglichkeit des Menschen.

Daß der Neurobiologe Libet das Tun an die Stelle des Wollens rückt, ist nichts Neues. Populär geworden sind solche Thesen spätestens seit der "Symphonie des Denkens" aus den 90ern von William Calvin, Neurobiologe am MIT.

Strafrechtlich heißt es da in einer berühmten Sentenz: "Der freie Wille ist eine staatsnotwendige Fiktion." Andere mögen dahinter die Theodizee sehen. :winke:

LG,

René
 
Hi Hannes!
Ich habe mir auch schon oft darüber Gedanken gemacht. Im Grunde lassen sich alle deine Fragen unter die grosse Frage subsumieren, was der Sinn des Lebens sei. Nun, darüber haben sich schon seit tausenden von Jahren wesentlich klügere Menschen als ich es bin den Kopf zermartert, meistens ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.
Ich für meinen Teil habe entschieden, dass es eigentlich überhaupt keinen Sinn im Leben des Einzelnen gibt. Ich meine, egal, was du machst, es wird im Grossen keine Auswirkungen haben. Ich stelle es mir immer so vor, als könnte ich die Erde irgendwo aus dem Universum beobachten :). Da ist so eine kleine blaue Kugel, auf der ne Menge Lebewesen sich für etwas ganz Besonderes halten, sich ihr Leben lang abstressen und sich Wissen aneignen, nur um dann recht bald wieder zu verschwinden und von einer neuen Generation abgelöst zu werden. Selbst im schlimmsten Fall, zB wenn der Kalte Krieg eskaliert wäre und wir uns selbst ausgerottet hätten, was hätte das für Auswirkungen auf den Kosmos gehabt? Ist es nicht unglaublich anmassend, für was wir uns im Universum, das nicht annähernd bewusst ist, halten? Manchmal glaube ich, dass es alle paar Hunderttausend Jahre auf irgendeinem Planeten so etwas wie Menschen gibt...gerade sind es eben wir...
vermutlich ist das Problem mein Mangel an Religiosität. Glaubte ich tatsächlich, dass es nach dem Ableben irgendwie weiterginge, wäre das Finden eines Lebenssinnes nicht sonderlich schwer. Mit dieser Vorstellung habe ich aber ein Problem.
LG,

Felix
 
Re: Vielen Dank an Hannes et al.

genau diese Fragen waren der Grund , weswegen wir uns so intesiv mit den Endorphinen und deren Bilanzen beschäftigt haben. Vor allem die Frage, warum wird so vieles "aus dem Bauch heraus" gemacht und dann nachträglich durch den Cortex über "Ausreden" erklärt wird.

Da mögen viel Leute drüber lästern, aber genau diese Bilanzen beantworten viele Fragen und bringen uns praktisch weiter.

MFG Siggi
 
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