Inflammaging – Wie stille Entzündungen selbst den fittesten Körper altern lassen

Inflammaging – Wie stille Entzündungen selbst den fittesten Körper altern lassen

Anastase Maragos pexels
Inflammaging – Wie stille Entzündungen selbst den fittesten Körper altern lassen

1. Was ist Inflammaging – und warum betrifft es uns alle?

Der Begriff „Inflammaging“ setzt sich aus „inflammation“ (Entzündung) und „aging“ (Altern) zusammen und beschreibt ein Phänomen, das lange Zeit unterschätzt wurde: stille, chronische Entzündungsprozesse, die mit dem Alter zunehmen – oft symptomlos, aber biologisch aktiv. Anders als akute Entzündungen, die deutlich spürbar sind (z. B. durch Schmerz, Rötung oder Fieber), verlaufen diese Mikroentzündungen im Hintergrund – subtil, aber konsequent. Sie greifen nicht einzelne Organe an, sondern unterwandern langfristig die Zellgesundheit, die Immunfunktion und den Stoffwechsel.

Auf das Thema aufmerksam wurde ich durch einen Artikel in der FAZ-  Frankfurter Allgemeinen Zeitung - der mit dem Satz begann, stille Entzündungen könnten selbst fitte Menschen frühzeitig altern lassen – ein starker Aufmacher, der mich neugierig machte. Doch die versprochene Information blieb hinter einer Paywall verborgen. Was als gesundheitlicher Warnruf begann, war offenbar vor allem ein Trigger für ein Abo. Grund genug, das Thema selbst zu recherchieren – gründlicher, fundierter und frei zugänglich.

Inflammaging ist nicht gleichzusetzen mit klassischen Autoimmunprozessen oder Infektionen. Es handelt sich um ein niedriges, aber persistentes Entzündungsgeschehen im gesamten Organismus, das mit zunehmendem Alter bei fast allen Menschen nachweisbar ist. Besonders perfide daran: Man spürt es nicht – zumindest nicht direkt. Kein Ziehen, kein Fieber, keine Warnung. Und doch verändert sich unter der Oberfläche fast alles: Zellstrukturen werden angegriffen, Mitochondrien geschwächt, Reparaturprozesse gestört.

2. Die biologischen Mechanismen hinter dem Entzündungsaltern

Zu den treibenden Molekülen des Inflammaging zählen unter anderem Interleukin‑6 (IL‑6), Tumornekrosefaktor‑alpha (TNF‑α) und das C‑reaktive Protein (CRP). Diese Marker zeigen eine erhöhte Aktivität im Alter und gelten als Indikatoren chronischer Entzündung. Verantwortlich dafür sind Alterungsprozesse im Immunsystem selbst (Immunoseneszenz), eine erhöhte oxidative Belastung, Störungen in der Darmbarriere sowie eine Abnahme der zellulären Reinigungsmechanismen wie Autophagie.

Während akute Entzündungen auf äußere Reize reagieren, erzeugt Inflammaging einen Zustand chronischer Alarmbereitschaft. Das Problem: Die permanente Aktivierung führt zu Gewebeabbau, Funktionsverlust und erhöhtem Risiko für degenerative Erkrankungen. Man spricht daher von einer Mikroinflammation, deren Makroeffekte erst spät sichtbar werden – etwa in Form von Arteriosklerose, Alzheimer oder Sarkopenie.

3. Messbare Folgen für die Gesundheit

Inflammaging ist kein abstraktes Konzept, sondern messbar – nicht nur im Labor, sondern auch in epidemiologischen Daten. Menschen mit erhöhtem CRP oder IL‑6 im Alter zeigen ein signifikant höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Gleichzeitig häufen sich Hinweise, dass stille Entzündungen auch neurodegenerative Prozesse beschleunigen – etwa durch eine Aktivierung von Mikrogliazellen im Gehirn.

Auch metabolische Erkrankungen wie Typ‑2‑Diabetes, Osteoporose und Muskelschwund (Sarkopenie) stehen im Zusammenhang mit einem entzündlich geprägten inneren Milieu. Besonders bemerkenswert: Selbst auf zellulärer Ebene – z. B. an den Telomeren – zeigen sich Hinweise auf eine beschleunigte Alterung, wenn entzündliche Prozesse chronisch aktiv sind.

4. Einfluss der Ernährung – was wirklich wirkt

Der Lebensstil spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Reduktion von Inflammaging. Besonders stark belegt ist die Wirkung der mediterranen Ernährung: Viel Gemüse, gesunde Fette (v. a. Olivenöl), Fisch, moderate Mengen an Vollkorn, wenig rotes Fleisch. Diese Diätform reduziert systemische Entzündungsmarker nachweislich.

LebensmittelWirkungStudienlage
Olivenöl (extra vergine)Reduktion von CRP, antioxidativPREDIMED-Studie
Fettreicher Fisch (Omega‑3)Hemmung entzündlicher ZytokineMeta-Analysen, 2017–2021
Beeren, GranatapfelPolyphenole, antioxidativInterventionsstudien
Fermentierte LebensmittelStärkung der Darmbarriereklinisch zunehmend belegt


Was hingegen überschätzt wird: Einzelne Superfoods mit exotischen Namen oder Pulver, die in Lifestyle-Magazinen beworben werden. Die Wirkung von Kurkuma, Ingwer oder Spirulina ist in kontrollierten Studien schwächer oder stark dosisabhängig. Entscheidend ist das Ernährungsmuster – nicht das eine Produkt.

5. Ergänzende Strategien: Schlaf, Bewegung, Mikrobiom

Auch jenseits der Ernährung lässt sich Inflammaging beeinflussen. Ausreichender und qualitativ hochwertiger Schlaf ist zentral – unter anderem, weil während der Tiefschlafphasen entzündungsregulierende Prozesse wie die Melatoninproduktion ablaufen. Wer dauerhaft schlecht schläft, riskiert eine systemische Entzündungsreaktion.

Regelmäßige Bewegung aktiviert entzündungshemmende Botenstoffe wie Myokine und verbessert die Insulinsensitivität. Besonders wirksam: Ausdauer plus moderates Krafttraining – je nach individueller Belastbarkeit. Parallel wirkt sich auch das Mikrobiom aus: Ein vielfältiger, präbiotikareicher Darm schützt vor Endotoxinaustritt und damit vor stiller Entzündung.

6. Labordiagnostik und Prävention

Zu den wichtigsten Labormarkern für Inflammaging zählen hsCRP (hoch-sensitives C‑reaktives Protein), IL‑6 und Ferritin. Auch TNF‑α und Neopterin sind relevant, aber weniger routinemäßig getestet. Die Werte sollten nicht einmalig, sondern im Verlauf interpretiert werden – idealerweise im Kontext eines funktionellen Präventionskonzepts.

Wie oft messen? Bei Risikopatienten (z. B. mit metabolischem Syndrom oder Autoimmunerkrankungen) jährlich. Für gesunde Menschen reicht ein Basis-Screening alle zwei bis drei Jahre – vor allem ab dem 50. Lebensjahr. Handlungsbedarf besteht nicht bei Grenzwerten, sondern bei konsistenter Erhöhung in Kombination mit klinischer Anamnese.

7. Und jetzt erst: Was macht die FAZ daraus?

Ein wissenschaftlich komplexes Thema – verwandelt in einen Clickbait-Titel mit Heilsversprechen und Paywall. Der Artikel der FAZ kündigt an, wie stille Entzündungen uns krank und alt machen. Aber sobald es konkret wird, folgt die Schranke: „Jetzt abonnieren, um zu erfahren, welche Lebensmittel helfen.“

ElementZweckEffekt
Alarmistische ÜberschriftEmotionalisierungKlickmotivation
LebensmittelversprechenVerkaufspsychologischer KöderAboabschluss
Keine QuellenangabenVerhindert NachprüfbarkeitDeutungshoheit bleibt beim Autor


Wissenschaftsjournalismus sollte aufklären, nicht einsperren. Wenn Informationen hinter Bezahlschranken verschwinden, geht Vertrauen verloren. Leser verdienen Inhalte, die auf Quellen beruhen – nicht auf Marketing.

Den Körper entlasten, nicht überlisten

Inflammaging ist kein Schicksal – aber auch kein Feind, den man mit einem Superfood-Smoothie besiegt. Es ist ein biologisches Warnsignal, das Orientierung geben kann. Wer frühzeitig erkennt, dass Lebensstilentscheidungen entzündliche Prozesse beeinflussen, kann viel gewinnen: an Lebensqualität, Gesundheit und Lebenszeit. Und manchmal beginnt Prävention ganz leise – wie die Entzündung, die sie verhindern will.


Fußnoten und wissenschaftliche Quellen

  • Franceschi, C. et al. (2000): "Inflamm-aging. An evolutionary perspective on immunosenescence." Annals of the New York Academy of Sciences, 908: 244–254.
  • Calder, P. C. (2017): "Omega-3 fatty acids and inflammatory processes: from molecules to man." Biochemical Society Transactions, 45(5): 1105–1115.
  • Estruch, R. et al. (2013): "Primary Prevention of Cardiovascular Disease with a Mediterranean Diet." New England Journal of Medicine, 368:1279–1290. DOI: 10.1056/NEJMoa1200303
  • Pawelec, G. et al. (2021): "Inflammaging and countermeasures: a review." Pathobiology of Aging & Age-Related Diseases, 11(1): 2045464.
  • Furman, D. et al. (2019): "Chronic inflammation in the etiology of disease across the life span." Nature Medicine, 25(12): 1822–1832.
  • Spyridopoulos, I. et al. (2004): "Accelerated telomere shortening in leukocyte subpopulations of patients with coronary heart disease: role of cytomegalovirus seropositivity." Circulation, 111(25): 3202–3210.
  • Martinez-Gonzalez, M. A. et al. (2014): "Benefits of the Mediterranean diet: insights from the PREDIMED study." Progress in Cardiovascular Diseases, 56(5): 397–405.
  • Kiecolt-Glaser, J. K. et al. (2015): "Sleep, inflammation and depression risk in older adults." Psychosomatic Medicine, 77(5): 448–455.
  • Bollrath, J. & Powrie, F. (2013): "Regulation of immune responses by the microbiota." Science, 336(6086): 1113–1117.

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